Orchideenhaus
Seiner Lordschaft nicht versichere, dass es Miss Lidia gut geht, beschließt er am Ende, selbst herzukommen. Er liebt sie wirklich … Sie können sich nicht vorstellen, welche Qualen dieser Mann der Pflicht wegen leidet. Wenn er könnte, wäre er da, das schwöre ich Ihnen. Und unter uns, Ma’am: Was würden wir in Wharton Park ohne ihn machen? Ich und meine Frau Elsie, dazu unsere Eltern und hunderfünfzig andere arme Seelen nebst Frauen und Kindern sind von dem Gut abhängig.
Ohne Seine Lordschaft würde Chaos ausbrechen, so viel steht fest. Ich bin nicht nur für ihn, sondern auch für mich und die Meinigen hier, die Seine Lordschaft zu Hause brauchen.«
»Ich verstehe, wie hin- und hergerissen Lord Crawford sein muss. Ich bin Zeugin ihrer Liebe geworden; es ist eine Tragödie, dass sie zum Scheitern verurteilt ist. C’est la vie , Mr. Stafford. Aber ich werde tun, was ich kann, um Ihnen zu helfen.« Sie begann mit ihrem Stift auf den Schreibtisch zu klopfen. »Sie sollten bei den Krankenhäusern anfangen, für alle Fälle … Ich habe irgendwo eine Liste …« Sie zog eine Schublade heraus und kramte darin herum.
»Ich kenne nicht einmal ihren Familiennamen …«
»Den kann ich Ihnen sagen. Hier.« Giselle reichte ihm ein Blatt Papier. »Eine Liste mit allen Krankenhäusern in Bangkok. Die haben wir für die Angehörigen von Kriegsgefangenen in Birma zusammenstellen lassen. Dieser Krieg … Er hat so viel Schmerz gebracht, und ist letztlich immer noch nicht zu Ende.«
»Ja«, pflichtete Bill ihr bei. »Mich und mein Leben hat er dauerhaft verändert. Und alles auf den Kopf gestellt.«
»Unter normalen Umständen wären Harry und Lidia sich nie begegnet …« Sie schrieb etwas auf und schob Bill die Notiz hin. »Lidias Familienname und ein Zettel in Thai, auf dem steht, dass Sie nach ihr suchen. Den können Sie in den Kliniken vorzeigen.«
Bill, der in Changi genug Krankheit und Leid gesehen hatte, wurde blass. »Ma’am, offen gestanden, habe ich Angst, sie dort zu finden.«
»Irgendwo müssen Sie anfangen, Mr. Stafford. Am besten schließen Sie die Krankenhäuser als Erstes aus.« Giselle stand auf, und Bill tat es ihr gleich. »Lord Crawford kann sich glücklich schätzen, einen Freund wie Sie zu haben.«
»Ich bin Diener Seiner Lordschaft, Ma’am, und befolge nur Befehle.«
»Nein, Mr. Stafford. Lord Crawford hat Sie mit einer Mission betraut, die er nur einem Freund übertragen würde, egal welche Stellung Sie in seinem Haushalt einnehmen.«
»Dann hoffe ich, dass ich sie erfüllen kann.«
»Das können Sie«, sagte Giselle, als sie die Tür zu ihrem Büro öffnete. »Vorausgesetzt, Lidia ist noch am Leben und möchte gefunden werden.«
46
Bill verbrachte den Rest des Abends damit, Angestellten des Hotels den Zettel zu zeigen, den Giselle ihm gegeben hatte, erntete jedoch nur verständnislose Blicke und Kopfschütteln. Also machte er sich am folgenden Morgen an die unangenehme Aufgabe, die Krankenhäuser von Bangkok abzuklappern.
Als sein tuk-tuk durch die schwüle Hitze der riesigen Stadt holperte, verließ Bill fast der Mut.
In den Kliniken ging es erstaunlich sauber und ruhig zu – ganz anders als in der »Leichenhalle« von Changi, wie man die Krankenstation dort genannt hatte. Hier gab es keine vor Schmerz stöhnenden Patienten mit schwärenden Wunden und auch keinen Gestank von menschlichen Exkrementen.
Am Ende des Tages kehrte Bill verschwitzt und erschöpft ins Hotel zurück, ohne eine Spur von Lidia entdeckt zu haben.
»Na, was herausgefunden?«, erkundigte sich Giselle, als sie ihm im Foyer begegnete.
Bill schüttelte den Kopf. »Acht geschafft; zwölf stehen noch
aus. Ich weiß nicht, ob ich glücklich sein soll, sie nicht gefunden zu haben, oder enttäuscht.«
»Hier«, Giselle reichte ihm einen Umschlag. »Ein Foto von Lidia, aufgenommen kurz vor ihrem Verschwinden. Es könnte helfen, wenn Sie es in den Krankenhäusern vorzeigen.« Giselle tätschelte Bill die Schulter. »Viel Glück für morgen.«
Bill ging hinauf in sein Zimmer, wo er müde aufs Bett sank und das Kuvert öffnete, um einen Blick auf das Bild zu werfen.
Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigte zarte Gesichtszüge, wie er sie in Bangkok bei vielen Thaifrauen gesehen hatte. Doch in Lidias großen Augen lag ein Licht, ein Funkeln, das sie förmlich erstrahlen ließ. Bill strich vorsichtig über die makellose Wange. Er fragte sich, ob diese junge Frau wusste, wie sehr sie sein Leben und das anderer so viele
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