Orchideenhaus
ganze Reihe Schocks erlitten und weiß, dass das seine Zeit braucht.«
»Erinnerst du dich, dass ich dir einmal gesagt habe, ich hätte Angst davor, einmal mit einem richtigen Problem konfrontiert zu werden wie du? Nun schau mich an!« Sie lächelte traurig. »Ich bin ein Wrack!«
»Du bist auch nur ein Mensch, Alicia. Geh nicht zu hart mit dir ins Gericht.«
»Genau das hat Max mir geraten.« Sie wandte sich zu Julia. »Er unterstützt mich, wo er kann.«
»Ein toller Mann, Alicia. Und er liebt dich.«
»Das Problem ist nur, dass ich an meine Rolle der Starken gewöhnt bin … Es muss schrecklich für ihn sein, mich nach all den Jahren so … labil zu erleben.«
»Vielleicht hat er gar nichts dagegen, sich zur Abwechslung mal um dich zu kümmern.«
»Möglich …« Alicia streckte die Arme aus. »Drück mich.«
Julia tat ihr den Gefallen.
»Tut mir leid, was ich gerade gesagt habe. War nicht so gemeint. «
»Und mir tut es leid, dass mir nicht bewusst war, wie sehr Mums Tod dir zu schaffen gemacht hat. Ich habe mich aufgeführt wie ein egoistisches Monster, während du uns nur helfen wolltest. Du warst wunderbar zu mir, besonders in letzter Zeit. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich zurechtgekommen wäre.«
»Tja, kleine Schwester«, sagte Alicia und löste sich aus der Umarmung. »Jetzt brauche ich dich, okay?«
»Okay.«
Nach einem Schläfchen aß Alicia mit Julia und Xavier auf der Terrasse. Jetzt wirkte sie ruhiger, wenn auch nach wie vor blass. Xavier zeigte sich von seiner besten Seite, und da Alicias Gegenwart eventuelle Spannungen zwischen ihm und Julia neutralisierte, gelang ihnen ein angenehmer Abend. Um Mitternacht zog Alicia sich gähnend zurück.
»Tut mir leid, Leute, ich hab nicht sonderlich gut geschlafen und zu viel Wein getrunken. Gute Nacht und danke, dass ich bei euch unterkommen konnte.« Sie drückte Julias Hand.
Bald darauf ging Xavier ins Bett, so dass Julia die Lichter ausschaltete und die Türen verschloss. Es war ganz anders als mit Kit, mit dem sie diese Aufgabe gemeinsam erledigt hatte. Als sie ums Haus herumging, dachte sie darüber nach, dass sie sich nie die Mühe gemacht hatte, Alicias Verletzlichkeit unter der Oberfläche wahrzunehmen.
Kit hatte sie einmal darauf aufmerksam gemacht … Er hatte erkannt, wie sie wirklich war, und sie verstanden. Hätte sie doch nur sein Einfühlungsvermögen besessen! Immerhin konnte Julia sich jetzt bei Alicia revanchieren. Ein Gefühl der Zuneigung für ihre Schwester durchströmte sie beim Betreten des Schlafzimmers.
Ihr Blick fiel auf Xavier, der nach der vergangenen Nacht anscheinend zu dem Schluss gekommen war, dass er seine ehelichen Rechte wieder geltend machen durfte.
»Deine Schwester ist mir heute Abend irgendwie …« Xavier suchte nach dem passenden Wort. »… menschlicher erschienen. Obwohl ich es kaum erwarten konnte, dass das Essen vorbei ist. Ich wollte dich ganz für mich haben, mon amour .« Er deutete auf die Auswölbung in seinen Boxershorts.
Als Julia sich aufs Bett setzte, um sich auszukleiden, zog er sie zu sich heran und drückte ihren Kopf nach unten.
»Nein, Xavier!« Sie entwand sich seinem Griff. »Nicht heute. Ich bin müde.«
»Julia, du weißt doch, wie sehr ich das mag«, bettelte er.
Julia stand auf und ging ins Bad.
Am folgenden Tag musste Xavier zu einem Interview früh aus dem Haus, so dass Julia und Alicia zu zweit ein spätes Frühstück genießen konnten. Danach schlug Julia vor, einen Ausflug ans ruhigere Ende des Pampelonne-Strandes von Saint-Tropez zu machen.
»Wie dekadent«, bemerkte Alicia, als sie sich auf bequemen Liegestühlen an der Strandbar niederließen. »Schön, wenn man nach so einer Geschichte zu einer Schwester flüchten kann, die in Südfrankreich lebt. Du hast recht: Dass ich adoptiert bin, macht wahrscheinlich wirklich keinen großen Unterschied.«
»Richtig«, pflichtete Julia ihr bei und reckte ihr Gesicht in die Sonne. »Meine Ressentiments gegen dich tun mir leid. Ich hatte nur immer das Gefühl, dass du alles richtig machst und ich alles falsch.«
»Schön wär’s«, stöhnte Alicia. »Ich war die letzten zwanzig Jahre so damit beschäftigt, meinen Emotionen aus dem Weg zu gehen, dass ich jetzt nicht weiß, wer ich bin.«
»Möglicherweise macht’s dir ja Spaß, es herauszufinden«, meinte Julia. »Und vielleicht solltest du dich eine Weile auf dich selbst, nicht auf andere konzentrieren.«
»Leider möchte ich gebraucht werden«, gab sie zu.
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