Orchideenhaus
»Was bleibt mir denn, wenn ich darauf verzichte?«
»Die Menschen, die dich deiner Persönlichkeit wegen lieben, nicht weil du etwas für sie tust.«
»Ach. Meinst du, dass Max und die Kinder mich auch mögen, wenn ich seine Hemden nicht mehr bügle und vergesse, ihnen was zu kochen?«
Julia hörte die Ironie in Alicias Worten. »Aber ja. Unter Umständen würden wir alle mehr Respekt vor dir haben, wenn du uns nicht jeden Wunsch von den Augen abliest. Wer weiß, vielleicht fangen wir am Ende an, dich zu umsorgen.«
»Wow! Was für ein Gedanke.« Alicia kicherte. »Das habe ich mir selbst zuzuschreiben. Ich wollte immer kompetent wirken und bin es letztlich auch. Jedenfalls meistens.«
»Ja, aber du darfst durchaus hin und wieder verletzlich und anlehnungsbedürftig sein wie wir alle. Und du solltest dich nicht schämen, es zu zeigen.«
»Du hast recht. Wie Max sich mir gegenüber verhält, seit das passiert ist … Ich dachte immer, ich hätte ihn geheiratet, weil er eben da war und ich jemanden brauchte, nachdem du aus dem Haus warst und Dad sich kaum noch daheim blicken ließ. Aber diese Krise hat mir gezeigt, wie glücklich ich mich schätzen kann, ihn zu haben.«
»Siehst du, es gibt immer Hoffnung. Wenigstens weißt du nun, dass Max viel mehr wert ist als du dachtest. Den Kindern wird’s unter seiner Obhut nicht gerade schlecht gehen, oder?«
»Nein. Hier ohne irgendwelche Verpflichtungen in der Sonne zu liegen, ist einfach … toll!«
»Gut. Dann solltest du das in Zukunft öfter machen.«
»Weißt du was?« Alicia lehnte sich auf ihrem Liegestuhl zurück und schloss die Augen. »Das tue ich glatt!«
Bei einem leichten Lunch aus frischem Mozzarella mit Tomaten und einer Karaffe jungem Wein aus der Gegend erzählte Julia Alicia, was sie über ihre Herkunft erfahren hatte.
»Unsere Mutter war also eine Crawford?«
»Ja. Die uneheliche Tochter von Lord Harry. Ironie des Schicksals, dass sie direkt vor der Nase ihres Vaters aufwuchs und nie davon erfuhr.«
»Kein Wunder, dass Dad mir das sagen musste. Sonst hätte
ich am Ende gedacht, in meinen Adern fließe Crawford-Blut, und angefangen, mich wie eine Prinzessin aufzuführen und zum Frühstück ein Diadem zu tragen.« Alicia schmunzelte. »Interessant finde ich, dass du mehr Anspruch auf Wharton Park hast als Kit. Du bist eine direkte Nachfahrin von Harry, Kit ist nur eine Art Cousin. Hätte Mum das Anwesen geerbt, wenn sie noch am Leben wäre?«
»Mum wurde leider nicht im Ehebett gezeugt, wie Elsie es so treffend ausgedrückt hat.«
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr. So etwas lässt sich mit Hilfe einer DNS-Analyse nachweisen. Erst kürzlich habe ich einen Artikel in der Times über einen ähnlich gelagerten Fall gelesen.«
»Wahrscheinlich hast du recht, aber wie du weißt, erbt der nächste männliche Verwandte den Titel. Allerdings hätte Mum, wären die Verwandtschaftsverhältnisse damals bekannt gewesen, bestimmt Anspruch auf ein Erbteil gehabt.«
Alicia sah Julia an. »Dann erhebt sich doch folgende Frage: Glaubst du, dir steht ein Teil des Anwesens zu?«
»Vielleicht«, antwortete Julia und nahm einen Schluck Kaffee. »Bisher hatte ich weder die Zeit noch die Lust, mich näher damit zu beschäftigen. Außerdem brauche ich das Geld nicht.«
»Stimmt. Du und Kit, ihr seid, was …?« Sie kratzte sich an der Nase. »Cousins dritten Grades?«
Julias Miene verdüsterte sich. »Ja, so was Ähnliches. Aber das ist doch nicht wichtig, oder?«
»Wirklich nicht?«, hakte Alicia nach.
»Warum sollte es?«
»Noch vor ein paar Wochen warst du mit Kit zusammen. Ihr wart sehr glücklich miteinander und …«
» Alicia, darüber möchte ich nicht sprechen«, fiel Julia ihr
ins Wort. »Xavier ist wieder da, also bin ich eine verheiratete Frau. Was auch immer Kit und ich waren: Jetzt ist es irrelevant. «
»Hast du mit Kit gesprochen?«
»Wie gesagt: Ich möchte nicht darüber reden, okay?«
56
Am folgenden Morgen brachte Julia Alicia zum Flughafen.
»Es war sehr schön«, sagte Alicia im Abflugbereich. »Genau das Richtige für die gequälte Seele.« Sie rümpfte die mit frischen Sommersprossen übersäte Nase. »Eigentlich will ich gar nicht nach Hause.«
»Du kannst jederzeit wiederkommen. Mit oder ohne Familie. Und vergiss nicht, dass es völlig in Ordnung ist, hin und wieder an dich selbst zu denken.«
»Wird gemacht. Danke, Julia. Ich habe viel gelernt.«
»Tatsächlich?«
Alicia nickte, zog Julia an sich und umarmte
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