Orchideenhaus
Crawford. «
»Das muss ich sowieso, weil ich in Wharton Park gebraucht werde. Aber da man sich mit dir nun wieder vernünftig unterhalten kann: Erzähl mir, wie deine Großmutter auf das Changi-Tagebuch reagiert hat.«
»Ja … Wie viel weißt du über die Wharton-Crawfords?«
»Heute mehr als früher. Vergiss nicht: Mein Urgroßvater Henry war Lord Christopher Crawfords jüngerer Bruder und wuchs in Wharton Park auf. Leider ist er 1918 in einem Schützengraben in die Luft geflogen, so dass seine Frau Leonora Witwe und seine beiden kleinen Kinder, eines davon mein Großvater, Waisen wurden.«
»Das war vor Elsies Zeit. Über Lord Christopher habe ich viel gehört …«
»Mein Namenspatron«, sagte Kit. »Entschuldige, ich unterbreche dich nicht mehr. Bitte fang an zu erzählen.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück.
Julia gab sich alle Mühe, die Welt vor seinen Augen erstehen zu lassen, die Elsie so lebhaft geschildert hatte.
Kit lauschte stumm, bis Julia fertig war. »Was für eine Geschichte«, lautete sein Kommentar. »Penelope, die junge Frau,
zu deren Ehren der Ball in Wharton Park veranstaltet wurde, war meine Großtante, die Schwester meines Großvaters Hugo, der im Zweiten Weltkrieg gefallen ist. Seine Frau Christina, meine Großmutter, brachte 1943 meinen Vater Charles zur Welt, der Wharton Park von Harry Crawford kurz vor meiner Geburt erbte. Wir zogen nicht in das Haus, das mein Vater hasste und zu dessen Renovierung ihm die finanziellen Mittel gefehlt hätten. Außerdem war Tante Crawford damals noch am Leben und fühlte sich als Hausherrin. Danke, dass du mir alles erzählt hast, Julia. Es ist interessant, die Fäden der Familiengeschichte zu verknüpfen.«
»Das glaube ich gern. Bisher hat Elsie mir weit mehr über die Crawfords berichtet als über meine eigene Familiengeschichte. «
»Es besteht sicher irgendeine Verbindung«, meinte Kit, »auch wenn ich sie momentan nicht erkenne. Möglicherweise darüber, dass Harry und Bill während des Krieges im selben Bataillon kämpften. Ja.« Kit nickte. »Ich wette, das ist es.Vielleicht verbirgt sich ein dunkles Crawford-Geheimnis auf den Seiten von Bills Tagebuch.«
»Möglich«, pflichtete Julia ihm bei. »Doch ich werde keine Spekulationen anstellen, bevor ich nicht die gesamte Story kenne. Die Vorstellung, dass meine Großmutter Dienstmädchen bei deiner Familie war und mein Großvater noch in meiner Kinderzeit für euch arbeitete, ist merkwürdig für mich. So vieles kann sich innerhalb von zwei Generationen verändern, nicht?«
»Du meinst, dass die Enkelin eines einfachen Gärtners zu Ruhm und Reichtum gelangt, von denen Elsie noch nicht einmal zu träumen wagte?«, neckte Kit sie.
Julia wurde rot. »Die Geschichte um Wharton Park hat mich in eine völlig andere Ära zurückgeworfen, obwohl alles
erst fünfundsiebzig Jahre her ist. Das finde ich viel beeindruckender. «
»Dieses Gefühl hatte ich auch, als ich den Sommer dort verbrachte. Olivia, die genaugenommen eine Cousine von mir war, innerhalb der Familie jedoch ›Tante‹ genannt wurde, hat Wharton Park bis zu ihrem Tod nie wieder verlassen«, erzählte Kit. »Ich glaube, ihre Anwesenheit hat Wharton Park in einer Art Zeitblase gehalten.«
»O je«, stöhnte Julia. »Mir ist gerade etwas klar geworden …«
»Was?«, fragte Kit.
»Dass die furchteinflößende alte Dame mit den kalten blauen Augen, die mir an dem Tag, als ich dich kennenlernte, das Klavierspielen verboten hat, Olivia Crawford war!«
»Ja«, bestätigte Kit. »Die Arme. Der Himmel allein weiß, was ihr im Leben widerfahren ist. Es muss ziemlich schrecklich gewesen sein, wenn aus dem reizenden jungen Mädchen, das du gerade beschrieben hast, der alte Sauertopf werden konnte, den ich kannte.«
»Achte auf deine Worte, Kit«, ermahnte Julia ihn lachend.
»Stimmt doch! Ich hatte immer Angst vor ihr.«
»Es war sicher nicht leicht zu verkraften, dass sie ihren Mann dabei ertappte, wie er einen anderen Mann küsste«, gab Julia zu bedenken.
»Nach allem, was du erzählt hast, ist es Olivia und Harry doch gelungen, ihre Probleme zu lösen, bevor er an die Front musste.«
»Ja, anscheinend.«
Da bemerkte Kit, wie Julia gähnte. »Zeit fürs Bett, junge Frau«, sagte er. »Du darfst dich nicht überanstrengen. Komm, ich helfe dir die Treppe hinauf.« Er reichte ihr seinen Arm.
Als er die Bettdecke über sie breitete, lächelte sie ihn an.
»Schade, dass du nicht Arzt geworden bist. Du wärst sicher gut
Weitere Kostenlose Bücher