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Orchideenhaus

Orchideenhaus

Titel: Orchideenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Riley
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Stich gelassen.
    Das Klavier – ein lebloses Instrument ohne Herz oder Seele – hatte ihre Liebe und Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es war ihr wichtiger gewesen als Kind und Mann; nun symbolisierte es ihren Egoismus und ihre Unfähigkeit.
    Julia sank in sich zusammen, nur getröstet durch den Gedanken, dass die mickrigen Karotten und der eine Salatkopf, die sie gefunden hatte, Nachkommen der Pflanzen ihres geliebten Großvaters waren.
    »Ach, Großvater Bill!«, seufzte sie. »Was würdest du mir sagen, wenn wir wie früher im Gewächshaus sitzen könnten? «
    Sie wusste, dass er sich ihr Problem ganz ruhig angehört und versucht hätte, die Emotionen erst einmal auszuklammern. Er glaubte an das Schicksal und an Gott, das war ihr klar. Nach der Beerdigung ihrer Mutter hatte Großvater Bill Julia in den Arm genommen, damit sie sich an seiner Schulter ausweinen konnte, denn die Vorstellung, dass ihre Mutter nun allein in dem kalten, harten Boden liegen musste, ertrug sie nicht.
    »Sie hat jetzt ihre Ruhe da oben. Da bin ich mir sicher«, hatte er sie getröstet. »Es sind wir Hinterbliebenen, die leiden müssen ohne sie.«
    »Warum konnten die Ärzte ihr nicht helfen?«
    »Weil die Zeit des Abschieds für sie gekommen war, Liebes. Und wenn die da ist, kann man nichts mehr machen.«
    »Aber ich wollte sie retten …«
    »Mach dir keine Vorwürfe, Julia. Wir konnten nicht mehr für sie tun. Wir Menschen glauben, wir hätten alles im Griff, doch dem ist nicht so. Ich bin alt genug, um zu wissen, dass sich daran nichts ändern lässt.«

     
    Julia dachte über das nach, was Großvater Bill damals gesagt hatte. Galt das auch für Xavier und Gabriel? War ihre Zeit gekommen? Hätte sie etwas ändern können, wenn sie bei ihnen gewesen wäre?
    Die Frage ließ sich nicht beantworten.
    Und dass sie Klavier gespielt hatte … Sie hätte genauso gut zu Hause sein und auf die beiden warten können.
    Bestrafte sie sich nur selbst und brachte sie sich bewusst um das Einzige in ihrem Leben, das ihr und ihrer gequälten Seele Trost spenden konnte?
    Du besitzt eine Gottesgabe. Vergeude sie nicht, Julia …
    Diese Sätze ihres Großvaters fielen ihr ein, als der Klavierstimmer die letzten Takte spielte.
    In der folgenden Stille kam Julia ein Gedanke, der ihr wieder Mut machte: Sie hatte so viele Menschen verloren, die sie liebte … Das Einzige, was man ihr nicht nehmen konnte, war ihre Begabung.
    Als sie hörte, wie der Wagen des Klavierstimmers sich entfernte, stand Julia auf und ging zum Haus zurück.
    Auf der Terrasse erhellte ein Hoffnungsschimmer ihr Gesicht. Auf ihr Talent konnte sie sich verlassen; es würde ihr bleiben bis zum Tag ihres Todes; es war Teil ihrer Persönlichkeit.
    Deshalb durfte sie es nicht vergeuden.
    Hatten Xavier und Gabriel etwas davon, wenn sie sich nie wieder ans Klavier setzte?
    Nein.
    Julia hob unwillkürlich die Hand zum Mund. Ihr wurde bewusst, dass Trauer und Selbstvorwürfe sie an der Nase herumgeführt, dass Dämonen von ihr Besitz ergriffen hatten.
    Sie musste sie bannen.
    Entschlossenen Schrittes machte sie sich auf den Weg zum
Salon, setzte sich ans Klavier und legte die zitternden Hände auf die Tasten.
    Sie würde für alle, die sie liebten, spielen. Und für sich selbst.
     
    Als Kit eine Stunde später von seiner Besprechung nach Hause kam und aus dem Salon Chopins Études hörte, traten ihm Tränen in die Augen. Er setzte sich auf die Treppe, genau an der Stelle, von der aus er Julia zum ersten Mal gesehen hatte, und lauschte voller Andacht.
    »Ich bin stolz auf dich«, murmelte er. »Du besitzt nicht nur eine seltene Gabe, sondern bist auch mutig und schön und stark.« Er wischte sich die Tränen mit dem Unterarm weg. »Hoffentlich kann ich mich deiner als würdig erweisen und dich auf ewig bei mir halten.«

32
    Das war das Ende der jahrelangen Stille in Wharton Park. Musik erfüllte das Haus, wenn Julia Stunde um Stunde auf dem herrlichen Flügel im Salon übte, ihre Dämonen bannte und sich über ihre Rückkehr an das Instrument freute, das Teil ihrer Seele war.
    »Danke, dass du mir geholfen hast, den Weg zurückzufinden«, flüsterte sie Kit an dem Abend des Tages im Bett zu, als ihre Finger zum ersten Mal wieder die Tasten berührt hatten.
    »Danke nicht mir. Du selbst warst so mutig, den Bann zu brechen. Außerdem musste der Flügel wirklich mal gestimmt werden.«
    Doch Julia wusste, dass sie es ohne Kits sanfte Unterstützung nicht geschafft hätte.

     
    »Ich habe heute mit

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