Orchideenhaus
deutlich besser als bei unserem letzten Treffen.«
Julia bezahlte den Fahrer, nahm Elsies kleine Reisetasche und ging mit ihr zum Haus.
Elsie blieb vor den Stufen stehen, um den Blick zu heben. »Es ist genau wie früher. Seltsam, nicht? Unser aller Leben
hat sich so sehr verändert, aber dieses Gemäuer bleibt immer gleich.«
»Ich wünschte, das wäre so«, seufzte Julia, als sie ihrer Großmutter die Treppe hinaufhalf. »Vielleicht sieht das Haus aus wie früher, doch wenn es nicht zusammenkrachen soll, muss vieles erneuert werden.«
»Hat ein bisschen Ähnlichkeit mit mir, was?« Elsie schmunzelte. »Weißt du was? Nach all den Jahren in Wharton Park betrete ich es heute zum ersten Mal durch den Vordereingang. «
»Ich habe mir heute Morgen gedacht, dass es merkwürdig für dich sein könnte hierherzukommen. Gehen wir nach oben in dein Zimmer, damit du dich frisch machen kannst. Und hinterher trinken wir eine schöne Tasse Tee, ja?«
Als sie das Zimmer erreichten, war Elsie völlig außer Atem.
»Gütiger Himmel! Meine Beine sind nicht mehr das, was sie mal waren«, keuchte sie. »Früher bin ich die Treppe hundertmal am Tag rauf- und runtergelaufen und hab’s gar nicht gemerkt.«
»Ich habe dir dieses Zimmer hergerichtet, Oma«, sagte Julia und öffnete die Tür. »Weil ich es hübsch finde und es nicht so groß ist.«
Als Elsie über die Schwelle trat, stieß sie vor Überraschung und Freude einen kleinen Schrei aus. »Na so was! Du hast doch tatsächlich das Zimmer von Lady Olivia bei ihrem Besuch in Wharton Park ausgesucht. Hier habe ich sie das erste Mal gesehen.« Elsie schaute sich um. »Ich glaube nicht, dass sich seit damals etwas verändert hat.« Sie ging zu dem ausgefransten, mit Gobelinstoff bezogenen Hocker am Fußende des Betts und setzte sich darauf, um Luft zu schöpfen. »Tut mir leid, Julia, aber diese Grippe hat mir sehr zu schaffen gemacht. Ich bin noch nicht wieder die Alte.«
Julia musterte sie besorgt. »Möchtest du dich ausruhen? Soll ich dir den Tee raufbringen?«
»Genau das habe ich immer zu Lady Olivia gesagt.« Elsie lächelte. »Ich bin tatsächlich ein bisschen müde. Vermutlich hat das mit der Wiedersehensfreude zu tun.«
»Ruh dich aus, und komm runter, wenn du so weit bist. Wir werden noch genug Zeit zum Reden haben, denn Kit spielt heute mit der Mannschaft aus dem Ort Kricket und kommt erst nach sieben nach Hause.«
»Der junge Christopher … Dass du nun mit ihm zusammen bist! Die Köchin und ich haben immer gescherzt, dass er aussieht wie ein Lutscher, nur Haut und Knochen, darauf ein großer Kopf und diese Lockenmähne.«
Julia musste lachen. »Er hat sich nicht verändert. Und er freut sich darauf, dich wiederzusehen.«
»Ich freu mich auch auf ihn«, meinte Elsie und sank aufs Bett. »Tja, da wären wir nun alle wieder in Wharton. Geh nach unten. Den Tee musst du mir nicht bringen. Wenn ich ein Nickerchen gehalten habe, komme ich runter.«
»Bis später«, verabschiedete Julia sich von ihr und küsste sie auf die Stirn. Elsie fielen schon die Augen zu.
Eineinhalb Stunden später betrat Elsie deutlich munterer die Küche.
»Schon besser«, sagte sie. »Wo ist die versprochene Tasse Tee? Und ich würde gern hören, wie du mit Kit zusammengekommen bist.«
Sie setzten sich an den Küchentisch, wo Julia Elsie erzählte, wie Kit sie während ihrer Krankheit gepflegt hatte und wie sie anschließend nach Wharton Park gezogen war.
»Julia, ich freue mich so sehr, denn ich sehe, wie glücklich du bist. Nach allem, was du durchgemacht hast …« Elsie nahm einen Schluck Tee. »Jetzt, wo du mit Kit zusammen
bist, habe ich das Gefühl, dass sich der Kreis schließt. Deshalb sollst du die vollständige Geschichte erfahren. Vielleicht …«, Elsie schaute sich in der Küche um, »… hilft dieser Ort meinem Gedächtnis auf die Sprünge.«
Zwanzig Minuten später betrat Kit, braun gebrannt von der Sonne und in seiner weißen Kricketkleidung, die Küche.
»Elsie, wie schön, dich wiederzusehen«, begrüßte er sie und küsste sie auf die Wange. »Du hast dich kaum verändert.«
»Schmeichler.« Elsie schmunzelte. »Sie, Master Kit, allerdings schon. Sie sind zu einem attraktiven jungen Mann herangewachsen. «
»Dann hältst du mich also nicht mehr für einen Lutscher?«, fragte Kit mit strenger Miene. Als Elsie rot wurde, musste er lachen. »Ich hab dich und die Köchin gehört. Eure Neckereien haben mir nichts ausgemacht. Ich war dankbar, dass ihr zwei mir immer
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