Orchideenstaub
in der Vergangenheit, seine Flüge zu Kongressen immer von seiner Sekretärin oder von ihr hatte buchen lassen, und er es dieses Mal eigenständig geschafft hat, was natürlich mehr als verdächtig gewesen war. Sie hatte nicht lange suchen müssen, um die zwei Tickets zu finden. „Dieser alte Dummkopf“, fügte sie überflüssigerweise hinzu und Sam hatte wieder den traurigen verzweifelten Mann vor Augen.
„Hat er einen Abschiedsbrief hinterlassen?“
„Nein, er hat sich ohne Erklärung in der Bibliothek unten erhängt“, sagte sie schnippisch.
Sam und Juri sahen sich eine Sekunde an. Kein Wunder, dass der Mann den Flug vom Himmel in die Hölle nicht verkraftet hatte. Katarin Gromowa hatte Harry Steiner wieder aufleben lassen, hatte seinem Herz Flügel geschenkt, ihm das Gefühl gegeben, wichtig zu sein. Hinzu kam wahrscheinlich guter Sex, den er mit seiner Frau nie gehabt hatte.
Sam war die Frau unsympathisch. In ihrer ganzen Haltung lag Überheblichkeit, Kontrolle und Gefühlsarmut.
„Frau Gromowa wurde in Paris ermordet“, bemerkte Sam lakonisch.
Endlich konnte er eine Regung in ihrem Gesicht ausmachen. Plötzlich sagte Frau Steiner völlig unerwartet: „Sie meinen doch nicht, dass Harry sie umgebracht hat und sich deshalb … Oh mein Gott!“, rief sie erschrocken „Was werden die Nachbarn jetzt sagen?“
Juri sah das herannahende Gewitter kommen. Er ahnte, was gleich passieren würde, doch bevor er etwas sagen konnte, platzte Sam schon heraus: „Kein Wunder, dass Ihr Mann sich erhängt hat. Sie sind einfach widerwärtig, wenn ich das so freiheraus sagen darf.“
Frau Steiner riss die Augen auf und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Was erlauben Sie sich.“
„Ich glaube Ihrem Mann fehlte nur der Mut, Ihnen genau das ins Gesicht zu sagen.“
Frau Steiner starrte ihn mit offenem Mund an. Ihr Gesicht verfärbte sich rot und Juri befürchtete schon das Schlimmste, aber dann drehte sie sich um und verschwand in einem der vier Zimmer, nicht ohne die Tür hinter sich zugeknallt zu haben.
Sam und Juri gingen langsam die Treppe runter. Kurz bevor sie die Haustür erreichten stand Frau Steiner plötzlich wie ein unheilvoller Geist auf dem Treppenansatz und streckte ihre Hand nach den beiden aus. „Warten Sie.“
Die harten Züge waren aus ihrem Gesicht und ihrer Haltung verschwunden. Sie sah jetzt nur noch wie eine todunglückliche Frau aus, die etwas Wichtiges in ihrem Leben verloren hatte und es sich selbst das erste Mal eingestehen konnte. Tränen rollten über ihre Wangen. Sie wischte sie mit ihrem zerknüllten Taschentuch weg und begann stockend zu erzählen, dass ihre Ehe in den letzten Jahren nicht einfach gewesen wäre, weil er sich zurückgezogen und sie nicht mehr in seine Arbeit einbezogen hätte. Die Ehe war kinderlos geblieben, weshalb sie sich dem Haus gewidmet hatte, um wenigstens hier nicht nutzlos zu erscheinen. Sie hatte umdekoriert, versucht Neues zu schaffen, aber ihr Mann hatte alldem keine Beachtung geschenkt. Er hatte nur, ohne zu Murren, das teure Hobby seiner Frau bezahlt. „Ich habe ihm seine Geliebte nicht einmal übel genommen. Aber das Gefühl alleine zu sein, das war nicht schön und zu wissen, dass da eine jüngere Frau ist, hat die Sache auch nicht vereinfacht. Ich bin jetzt sechzig, über den Zenit, wie man so schön sagt. Ich habe gedacht, mit Harry alt zu werden und jetzt hat er mich einfach so verlassen und ich kann nicht einmal mehr kämpfen“, sagte sie weinend und setzte sich auf die Treppe.
Sam tat die Frau plötzlich leid. Sie und Harry Steiner waren das Paradebeispiel für ihn, warum er immer vor einer Ehe zurückgeschreckt war. „Es tut mir leid …“, begann er sanft.
„Nein, mir tut es leid. Sie müssen ja einen furchtbaren Eindruck von mir haben. Sagen Sie mir also, wie ich Ihnen helfen kann?“
„Ihr Mann muss gestern etwas entdeckt haben, was für den Mordfall von Bedeutung sein könnte.“
Sie deutete auf das Arbeitszimmer. „Er war den ganzen Tag zu Hause und hatte sich da eingeschlossen. Sehen Sie sich ruhig um. Wenn Sie etwas brauchen … Ich bin nebenan.“ Mit diesen Worten ging sie zurück ins Wohnzimmer zu den anderen Trauergästen und Juri und Sam sahen sich im Arbeitszimmer um. Es war düster und vollgestellt mit alten Möbeln. Dunkle Vorhänge hingen vor dem Fenster und es war unaufgeräumt. Wahrscheinlich war es das einzige Zimmer, wo Frau Steiner keine Hand angelegt hatte und der einzige Raum im Haus, in
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