Orchideenstaub
auf sein Band gesprochen. Er sagte, er hätte etwas entdeckt. Etwas, das vielleicht für den Fall interessant wäre und dass Sam ihn sofort zurückrufen sollte. Augenblicklich drückte er auf Rückruf und ließ es ein paar Mal klingeln. Als niemand abnahm, versuchte er es noch einmal. War es vielleicht zu früh für den Arzt? Er sah auf die Uhr. Es war acht Uhr dreißig, eine humane Zeit. Schließlich meldete sich eine Frau. Er nannte seinen Namen und bat sie darum, mit Dr. Steiner sprechen zu dürfen.
„Der ist nicht zu sprechen. Wer sind Sie?“ Die Stimme klang abweisend und in Sam schlich sich sofort der Gedanke ein, dass Steiner sein Verhältnis gebeichtet hatte.
„Ich bin von der Polizei. Ich …“
Der folgende Satz am anderen Ende der Leitung saß wie eine Ohrfeige. Sam fiel der Bagel aus der Hand, der auf dem Boden einen hässlichen bunten Fleck hinterließ.
Juri hatte aufgehört zu kauen und sah seinen Partner mit großen Augen an. Selten hatte er ihn so sprachlos gesehen.
Sam ließ die Hand sinken.
„Was ist los?“ Juri war dabei, den Bagel aufzusammeln und die Mayonnaise vom Teppich zu kratzen, ohne Sam aus den Augen zu lassen.
„Dr. Steiner hat sich heute Morgen das Leben genommen. Ich bin platt.“
Juri glotzte Sam an, als hätte er einen rosafarbenen Elefanten vor sich sitzen.
„Verdammte Scheiße. Ich hätte es wissen müssen. Der Mann war am Boden zerstört.“ Sam fluchte vor sich hin, während er in seine Jacke schlüpfte und sich eine schwarze Wollmütze über den Kopf zog.
„Hey, dich trifft nun wirklich keine Schuld, Sam. Es sind eben nicht alle so tough wie du und stecken den Tod ihrer Freundin so gut weg.“
Sam fuhr herum, seine Augen waren zu kleinen Schlitzen verengt, aber er brachte kein Wort über die Lippen. Er stand nur da und sah Juri an.
„Sorry. Ich wollte dich nicht …“
Sam atmete tief durch. Sein Partner hatte die ganze Zeit kein Wort über Linas Tod verloren, jetzt war es ihm indirekt rausgerutscht und sein Blick verriet nur, dass er sich dafür schämte.
„Komm lass uns gehen.“
Der Zorn war genauso schnell verflogen, wie er aufgekommen war. Sein Partner hatte eine hohe Meinung von ihm und fast musste er innerlich lachen. Er war nicht tough gewesen, sondern einfach nur zu feige. Das war alles. Natürlich schien nach dem Tod von Lina alles keinen Sinn mehr gehabt zu haben, aber das war ein vollkommen normales Gefühl. Glücklicherweise hatte er sich manchmal mit einem gewissen Abstand selbst analysieren können und vielleicht hatte gerade das ihn davor gerettet, zum Alkoholiker oder Selbstmörder zu werden. Allerdings gab es da noch einen kleinen Punkt, der ihn davon abgehalten hatte, und den er für sich behielt. Eitelkeit. Wieviele Menschen hatte er in der Pathologie nackt auf den Seziertischen liegen sehen. Dazu wollte er definitiv nicht gehören.
Juri war ein sicherer Fahrer, sodass Sam kein Problem damit hatte, ihm das Steuer zu überlassen. Er selbst war nämlich ein miserabler Beifahrer und konnte für andere ziemlich ungenießbar werden. Bei gutem Durchkommen würden sie in etwa drei Stunden in Düsseldorf sein.
Was hatte Dr. Steiner nur entdeckt, was wichtig für den Fall sein könnte? Hatte es vielleicht etwas mit seiner Geliebten Katarin zu tun? Oder war er auf etwas anderes gestoßen? Eine Patientenakte vielleicht?
Ein Anruf in München bei Peter Bauer könnte schon mal Aufschluss darüber geben, ob Katarin Gromowa doch nicht so ein unbeschriebenes Blatt war. Juri hatte seit dem kleinen Versprecher im Hotel kein Wort mehr gesagt und konzentrierte sich auf die Straße.
In der Ferne kam ein Gewitter auf. Die ersten Regentropfen bedeckten die Windschutzscheibe und wurden von den Scheibenwischern zur Seite gefegt. Der Wagen fuhr mit steter Geschwindigkeit über die Autobahn und Sam fing an, sich zu entspannen.
Er betrachtete Juri eine Weile von der Seite und stellte dann die Frage, die ihn schon seit Längerem beschäftigt hatte. „Sag mal, wo bist du eigentlich aufgewachsen? War deine Mutter nicht Russin und dein Vater Deutscher?“
„Du hast ein gutes Gedächtnis. Meine Eltern waren aber nie verheiratet, deshalb trage ich ja auch den Namen meiner Mutter. Pompetzki. Ich bin in Sibirien bei meinen Großeltern aufgewachsen, nachdem meine Mutter uns halb totgeschlagen hat. Mich und meine Schwester.“
„Das tut mir leid.“
„Sie hatte ein Alkoholproblem. Immer wenn sie trank, fing sie an durchzudrehen. Ich weiß noch, als sie im
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