Organic
Einkaufstasche versteckt hatte. Das konnte allerdings nicht gut gehen. Der Duft von Pommes und Zwiebeln legte sich über den sterilen Krankenhausgeruch, aber anstatt sie zurechtzuweisen, wollte man bei ihr Bestellungen aufgeben.
„Nächstes Mal“, versprach sie und erntete ein Lächeln, ganz im Unterschied zu dem üblichen Stirnrunzeln und den finsteren Blicken. Sie nahm sich vor, daran zu denken. Sie hatte nichts dagegen, ihrem Vater mit einer Runde Cheeseburger ein wenig mehr Mitgefühl zu erkaufen.
Diesmal saß er ruhig und still in seinem Lehnstuhl, die Arme auf die Lehnen gelegt, sein Kopf war zur Seite auf die Schulter gesunken. Seine Augen waren trübe geworden, aber ihnen entging im Allgemeinen nichts. Diesmal aber schweifte sein Blick nicht umher, sondern seine Augen bewegten sich langsam wie die Bilder eines alten Films.
Sie hasste es, wenn sie das mit ihm taten. Fast war ihr das Zappeln lieber, weil dann Energie in ihm war, ein Zeichen für ein Leben, das in ihm gefangen war, aber um seinen Weg nach draußen kämpfte. So jedoch erinnerte er Sabrina zu sehr an einen Zombie, eine leere Hülle. Sie musste sich sehr beherrschen, ihn nicht am Hemdkragen zu packen und ihm ins Gesicht zu schreien: „Dad, bist du da drinnen?“
Sie setzte sich ihm gegenüber auf die Kante eines Stuhls, die Tüte mit dem Cheeseburger auf dem Schoß. Sie wartete darauf, dass sein Blick an ihrem Gesicht hängen blieb. Er glitt über ihre Züge, verharrte aber nicht, zögerte nicht einmal. Sie hatte sich zu viel erhofft. Wie konnte sie erwarten, sie müsste ihm nur einen Cheeseburger und Pommes mitbringen, und schon wäre alles in Ordnung? Auch wenn es umgekehrt immer funktioniert hatte, wenn es um sie gegangen war. Wie oft hatte ihr Vater ihr einen Eisbecher mit heißer Karamellsoße oder einen Cheeseburger mitgebracht, wenn er wusste, dass sie eine Aufmunterung gebrauchen konnte? Zum Beispiel, als sie bei einem Wissenschaftswettbewerb Zweite wurde, obwohl beide wussten, dass sie den ersten Platz verdient hätte. Oder nach dem Unfall, der ihr Auto in einen Haufen Schrott verwandelt hatte. Immer war ihr Vater zur Stelle gewesen, um ihr mit irgendeiner Aufmerksamkeit zu sagen, was er nicht in Worte fassen konnte.
Sabrina packte den Cheeseburger aus und legte ihn mit den Pommes auf ein Tischchen zwischen ihnen und stellte den Milchshake dazu. Dann saß sie weiter auf dem Stuhlrand und wartete. Als sie ihm zwei Stunden später einen Kuss auf die Stirn gab und ging, hatte er das Essen noch immer nicht angerührt.
Hinter dem Kiefernwald ging die Sonne bereits unter. Diesmal versuchte Sabrina aufmerksamer zu sein und die Abfahrt nicht wieder zu verpassen, damit sie nicht auf dem Highway 90 anstatt der Interstate 10 landete. Denn sonst würde sie die Orientierung verlieren, sobald es dunkel wurde. Und wenn es um Orientierung ging, verließen sie die guten Eigenschaften einer Wissenschaftlerin.
Auf der zweispurigen Asphaltstraße fehlte die weiße Mittellinie. Es half auch nicht gerade, dass einige Schilder in der letzten Sturmsaison umgeworfen und noch nicht wieder repariert worden waren. Beim letzten Mal war Sabrina statt links versehentlich rechts abgebogen und am Lake Seminole gelandet. Diesmal strengte sie sich mehr an und versuchte, sich auf die Straße und nicht auf ihre Enttäuschung zu konzentrieren.
Als sie nach Florida gezogen war, hatte sie erwartet, ihre bloße Anwesenheit würde ihren Vater ins Leben zurückholen. Als würde der Klang ihrer Stimme und Erzählungen aus glücklicheren Zeiten ihn aufwecken. Aber als aus den Wochen Monate wurden, wich ihr anfänglicher Optimismus einem Realismus. Die Routine hielt sie in Gang, nicht der Verstand.
Nach dem Tod ihrer Mutter war Sabrina wie in dichtem Nebel herumgelaufen. Ihre Routine hatte ihr Trost gespendet. Ihr langweiliges, vorhersehbares Leben – wie Eric es einmal genannt hatte – hatte sie schließlich gerettet. Sie schaltete auf Autopilot, und das war für den Moment genau das Richtige – bei wachem Verstand war der Schmerz einfach zu groß. Ihr Vater hatte nicht so viel Glück gehabt. Und als die drei Zurückgelassenen einander am meisten gebraucht hätten, waren sie voreinander geflohen.
Sabrina hatte genau das getan, was sie unbedingt hatte vermeiden wollen. Sie hatte ihre Gedanken und ihre Augen von der Straße wegwandern lassen. Die schwarze Limousine nahm sie erst wahr, als sie mit aufheulendem Motor dicht hinter ihr auftauchte. Mit den getönten Scheiben
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