Organic
über dem Eingang zu dem beschissenen Raum, in den er reinkommen musste. Mit dem Nagel eines seiner Wurstfinger kratzte er den angetrockneten Senf herunter. Ja, da war’s. Reaktor fünf.
Als Leon aus seinem Geländewagen stieg, fiel ihm die weiße Pipeline auf, die am Rand des Parkplatzes entlanglief. Das Rohr war etwa fünfzehn Zentimeter dick und verlief von der einen Seite des Gebäudes um den Parkplatz herum, wo es zwischen den Bäumen verschwand. Auf dem Plan führte es bis hinunter zum Fluss und hieß „Endrohr“.
Als er zwischen den parkenden Autos hindurchlief, sah er noch einmal zu der Pipeline zurück und überlegte, wie viel von dem Kerl, den er in die Schlachtabfälle geschmissen hatte, es wohl bis hierher zum Endrohr geschafft hatte.
44. KAPITEL
EcoEnergy
Die feuchte Hitze war mit voller Wucht zurückgekehrt, als wolle sie die Atempause vom Wochenende wieder wettmachen. Sobald Sabrina das klimatisierte Gebäude verlassen hatte, klebte ihr auch schon die Leinenbluse am Körper. Obwohl sie selten ohne ihren Laborkittel herumlief, war sie jetzt froh darüber. Sie hatte ihren Mitarbeiterausweis herausgenommen und sich die Schlüssel ihres Mietwagens gegriffen und überlegt, ob eine kurze Fahrt zum hinteren Parkplatz am unauffälligsten wäre. Während sie sich den Schweiß von der Stirn wischte und ihr feuchtes Haar zurückstrich, bereute sie bereits, sich gegen ihr Auto entschieden zu haben.
Sie mied den Gehweg entlang der Anlage, wo noch die letzten Tanklastzüge des Tages zu sehen waren, die be- oder entladen wurden. Sabrina nahm den Weg über die Grünfläche zwischen den weit verstreuten Gebäuden aus gewelltem Stahl und Eisenstegen, die die Bürogebäude mit der Fabrikanlage verbanden. Auf der Grünfläche gab es Bänke, Pflasterwege und sorgfältig bewässerte Blumenrabatten, mit denen Sidel den Eindruck der Industrieanlage als einer Kleinstadt hatte abrunden wollen. Aber Sabrina hatte noch nie Mitarbeiter dort ihren Lunch essen oder Besprechungen abhalten sehen, wie Sidel es sich vielleicht vorgestellt hatte. Vermutlich lag der Bereich zu nah am Lärm und all den Gerüchen – eine Mischung aus Diesel und, jedenfalls an heißen Tagen, gebratener Leber.
Lansik hatte Sabrina erzählt, dass EcoEnergy im vergangenen Jahr Millionen von Dollar aufgeboten hatte, um das Geruchsproblem zu lösen, nachdem mehrere Exmitarbeiter Klagen angedroht hatten. Damals schien Lansik verärgert wegen der Beschwerden und hatte Sabrina erklärt, die Gerüche seien zwar lästig, aber völlig unschädlich.
„Wenn es ein Gesundheitsrisiko gäbe, hätte ich umgehend Vorkehrungen getroffen“, hatte Lansik entrüstet gesagt. Das gesamte Produktionsverfahren, und damit die Fabrik selbst, war für Lansik zu einer Frage der persönlichen Ehre geworden. Das war nicht ungewöhnlich. Dieses überzogene Engagement hatte Sabrina bei ihrem Vater beobachten können, wann immer er eine neue Erfindung entwickelt hatte.
Das war ein weiterer Grund für Sabrinas Zweifel daran, dass Lansik jemals einen Fehler ohne Prüfung oder Korrektur hätte durchgehen lassen. Genauso wenig, wie er ohne ein Wort an seine Mitarbeiter gekündigt hätte und gegangen wäre. Sabrina wusste nur zu gut, dass die Vision hinter Eco-Energy ebenso sehr Lansiks Vision war wie die von Sidel. Vielleicht war sie deshalb so beunruhigt. Sie würde nicht erwarten, dass Sidel den anderen Mitarbeitern von einem Streit zwischen den beiden Männern berichtet hätte. Aber genauso wenig gefiel ihr, dass Sidel über die Angelegenheit so leichtfertig hinweggegangen war.
Mit der Grünfläche ließ sie auch das letzte bisschen Schatten hinter sich. So kurz vor Feierabend traute sich niemand in die Nachmittagshitze. Anscheinend würde Sabrina den ganzen Parkplatz für sich allein haben. Selbst die Sicherheitsleute blieben lieber in ihren klimatisierten Wachhäuschen.
Sie ging entlang der Pipeline zum Ende der asphaltierten Fläche. Die Pipeline führte weiter und verschwand im hohen Gras des dichten Kiefernwaldes. Vielleicht benahm sie sich ein bisschen lächerlich. Sie wusste nicht recht, was sie erwartete und nicht einmal, was genau sie eigentlich vorhatte. Ihr Gesicht und ihre Arme waren schweißnass, und sie spürte, wie ein Rinnsal ihren Rücken hinunterlief. Sie sah auf ihre flachen Lederschuhe und die schwarze Hose. Und die weiße Leinenbluse. Es war nicht schlimm, wenn eine von denen ruiniert war. Auch wenn sie innerlich die Stimme ihrer Mutter vernahm, die sie
Weitere Kostenlose Bücher