Orgie im Mondschein
Lederriemen gefesselt, wie ich das gewesen war, und ihre
nackten Körper lagen in lauwarmem Wasser. Julie hatte beide Augen geschlossen
und atmete so langsam, daß ich ein paar Sekunden lang von der panischen Angst
ergriffen wurde, sie atmete überhaupt nicht. Ich schob eines ihrer Augenlider
zurück, und ihre stecknadelkopfgroße Pupille reagierte auf den plötzlichen
Lichteinfall überhaupt nicht. Dasselbe war bei der halbverhungerten Blonden der
Fall. Beide mußten unter Rauschgift gesetzt worden sein, überlegte ich; und
dann kam mir ein häßlicher Gedanke. Ich suchte
verzweifelt in meinen Taschen, bis ich meine Uhr fand, und sah dann ungläubig
darauf. Es war neun Uhr dreißig; es konnte bestenfalls fünf Uhr dreißig gewesen
sein, als Bleeker mich in Norris’ Sprechzimmer
niedergeschlagen hatte. Wohin waren also die letzten vier Stunden entschwunden?
Stella mußte mich ebenfalls mit Rauschgift versorgt, aber vielleicht den beiden
Mädchen eine größere Dosis gegeben haben, denn sie wollte, daß ich bei Bewußtsein war, wenn sie ihre Bienenköniginrolle spielte.
Es
gab nichts, was ich für die beiden Mädchen tun konnte; und so beschloß ich, die
Glasschränke entlang der Wand einer schnellen Überprüfung zu unterziehen, bevor
ich mich in die unbekannte Welt außerhalb des Raumes hinauswagte. Das
Passendste, was ich in der Eile finden konnte, war eine Art Skalpell; es war
etwa fünfundzwanzig Zentimeter lang, und die Hälfte davon bestand aus einer
scharfen Schneide, die sich nach vorn zuspitzte. Ich schauderte innerlich bei
dem Gedanken, das Ding möglicherweise benutzen zu müssen, zurück; dann nahm ich
es aus dem Schrank und schob es vorsichtig in eine meiner Socken.
Die
Tür war von innen verschlossen — vermutlich, um die Bienenkönigin vor
unerwarteten Unterbrechungen zu schützen — , und so drehte ich leise den
Schlüssel um, öffnete die Tür ein paar Zentimeter weit und spähte hinaus. Zwei
Sekunden später trat ich auf einen erhellten, aber leeren Korridor hinaus. An
seinem einen Ende befand sich eine kahle Wand; und so kam ich zu dem genialen
Entschluß, die andere Richtung einzuschlagen. Als ich am Ende des Korridors
angelangt war, stellte ich fest, daß er in die Empfangshalle mündete, und mir
gegenüber lagen die Türen zum Sprechzimmer des Doktors und zum Büro Stellas Whitcombs . Norris’ Tür war fest geschlossen, aber die
andere stand halb offen, und aus ihr drang ein Lichtschein in die trüb erhellte
Halle. Ich schlich hinüber, preßte mich gegen die Wand und lauschte. Drinnen im
Büro unterhielten sich zwei Leute, und ich erkannte die Stimmen Reinharts und
Pages.
»...aber
warum Julie?« sagte Page mit heiserer Stimme.
»Weil
Sie versucht haben, so verdammt gerissen zu sein!« antwortete Reinhart mit
scharfer Stimme. »Wenn Sie nicht versucht hätten, beide Enden gegen die Mitte
auszuspielen — nämlich Julie und Holman gegen mich —
, wäre es nicht notwendig geworden. Aber nun ist es so, und es ist Ihre eigene
verdammte Schuld.«
»Hören
Sie zu!« In Pages Stimme lag ein winselnder Unterton. »Alles hätte großartig
geklappt, wenn dieses Mistvieh , diese Sally McKee , mir nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht
und Holman alles verraten hätte! Das war nicht Julies
Schuld, und ich sehe nicht ein...«
»Es
gibt keine andere Möglichkeit«, unterbrach ihn Reinhart. »Weshalb machen Sie
ein solches Geschrei, Page? Sie sind zur Hälfte an der Sache beteiligt — genau
das, was Sie gewollt haben!«
»Ja,
aber... Na ja, Julie ist eine phantastische Sängerin und der Attraktionspunkt
in diesem Klub.«
»Was,
zum Teufel, scheren Sie Hausierergeschäfte ?« sagte
Reinhart verächtlich. »Sie haben jedenfalls Ihr Schäfchen auf dem trockenen.«
»Aber
es ist hart für die Kleine! Sie hatte doch im Grund nie etwas mit dem Ganzen zu
tun — «
»Daran
hätten Sie denken müssen, bevor Sie sie in die Sache hineingezogen haben, Linc ! Sie hatten sogar eine zweite Chance, als Holman die Nase in die Angelegenheit steckte. Aber nein! —
Sie mußten den Neunmalklugen spielen und sie ein zweites Mal hineinziehen. Also
schicken Sie ihr einen großen Blumenstrauß zu ihrem Begräbnis.«
Eine
etwa fünf Sekunden dauernde Pause folgte, und dann knurrte Page: »Na, also gut.
Aber sind Sie sicher, daß es auch das zweitemal hinhaut?«
»Dieser
Hokuspokus?« Reinhart lachte kurz auf. »Na klar, warum nicht? Norris garantiert
dafür.«
»Ja,
aber warum muß die kleine Delaney wieder
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