Orient-Express (German Edition)
Mann. Hier war eine andere Zeit als in Persien, das Geld war anders, dies war nicht Chanikin, nirgendwo gab es etwas zu essen. Also setzte ich mich draußen vor der Bahnhofstür auf meinem Koffer in den Schatten, versuchte, meine Wassermelone zu essen, bevor die Fliegen sie mir wegaßen, alles klebte mir am Leib, und ich fühlte mich einsamer und einsamer. Weiter hinten am Gleis hockten einige «Eingeborene», charakterlose Eingeborene wie bei Kipling.
Schließlich kam eine schwarze Lokomotive angeschnauft, die drei graue Waggons mit Fensterläden zog und aus jeder Ritze den Geruch von Dampf und Maschinenöl verströmte, der mich an all die großen Bahnhöfe erinnerte, das alte Seventh Street Depot in Washington und die Grand Central und die South Station und den Gare St. Lazare und den Gare d’Orléans und die Estación del Mediodía und den Bahnhof in Straßburg. Ah, das Essen in Bahnhofsrestaurants und die Drinks in den kleinen Bars auf der anderen Straßenseite! Die Austern in der Grand Central und die Langusten gegenüber vom Gare St. Lazare, die hastig hinuntergestürzten Mahlzeiten in Bobadilla und die Kastanien und Churros am Ende der Calle Atocha, das eingelegte Rebhuhn und die Weinbergschnecken, mit Manzanilla hinuntergespült, all die letzten Mahlzeiten in all den Großstädten, vermischt mit dem Dampfgeruch und dem Wumm-Zisch, Wumm-Zisch, Wumm-Zisch der Lokomotiven. Süßigkeiten, Zigarren, Zigaretten ... Vielleicht ein Chicken-Sandwich, Horton’s Eiskrem ... Keine Bestellungen mehr nach Abfahrt des Zuges ... Oh, selbst die eingewickelten Sandwiches und der Geruch von Windeln in den Zügen der New York, New Haven & Hartford.
Mir blieb nichts anderes, als in der Dunkelheit zu sitzen, inmitten schreiender Erinnerungen, mich mit Wassermelone vollzustopfen und im Schein der trüben Bahnhofsfunzel die Pilger aus Persien zu beobachten, die nach Überqueren der magischen Linie des britischen Herrschaftsbereichs ihre Fröhlichkeit, die Würde ihrer Gesichter und Bewegungen, die Eleganz ihrer Lumpen und ihrer hohen Filzhüte verloren und, in den stickigen Zug drängend, sich in gesichtslose Kiplingsche Eingeborene verwandelt hatten.
Unter heftigem Magengrimmen nach allzu viel Wassermelone und in sorgenvoller Erinnerung an den französischen Arzt, der mir gesagt hatte: «Monsieur, en Iraq il ne faut pas abuser des pastèques», rollte ich schließlich die gestreifte Täbris-Decke aus und legte mich schlafen.
Als ich aufwachte, bot mir ein Engländer einen Drink an. Wir waren in Chanikin. Er kam von irgendwelchen Ölbohrungen im Norden. Wir saßen im trüben Licht des Schlafwagenabteils und sprachen über die Yeziden. Alle seine Arbeiter waren Yeziden, Teufelsanbeter. Er versuchte, Informationen über sie zusammenzutragen, aber es war sehr schwer, etwas Konkretes herauszufinden. Im Mittelpunkt ihres Kults steht eine Stadt beziehungsweise das Grabmal eines Scheich Aadi bei Mossul. Die Yeziden gelten als letzte Angehörige einer manichäischen Sekte. Sie haben ein heiliges Buch, aber Schreiben und Lesen sind ihnen verboten. Der Name Scheitan ist ihnen heilig, und alle S- und Sch-Laute sind aus ihrer Sprache verbannt. In manchen Nächten sollen sie rauschhafte Feste von jener Art feiern, wie sie den frühen Christen von den Römern nachgesagt wurden. Sie verrichten die niedrigsten Arbeiten, sind Straßenarbeiter und Straßenkehrer, ein paar Wohlhabende sind Gemüsegärtner. Sie glauben an die gnostische siebenfache Emanation Gottes, aber Scheitan verehren sie als Herrn dieser Welt in Gestalt eines goldenen Pfaus.
Schließlich gab es keinen Whisky mehr und keine Melone und nichts mehr über die Yeziden. Wir legten uns schlafen. Als ich aufwachte, war der Engländer verschwunden. Die Sonne erhob sich über einer weiten Ebene, staubig und baumlos wie ein New Yorker Hinterhof, gleichmäßig schlachtschiffgrau in allen Richtungen, ohne Hügel oder Häuser oder die leiseste Aussicht auf ein Frühstück.
IX BAHNHOF BAGDAD
1. Engel auf Rädern
Man sitzt in einem Garten vor der American Bar am Tigrisufer unter mageren Palmen. Im Abendlicht hat der Fluss fast eine Farbe von Orangenschalen. An einem Feuer aus Palmstielen steht ein Araber mit gerafftem Gewand und brät in einer gigantischen Pfanne mit siedendem Fett Pommes frites. Kaum sind sie fertig, serviert er sie khakitragenden Angelsachsen, die ermattet japanisches Bier trinken und über Malaria, Mückenfieber und Durchfall sprechen. Runde Boote aus Schilf
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