Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dos Passos
Vom Netzwerk:
«Fluus 25 , Mista» und tanzten mit aufgehaltener Hand um mich herum, Jesajas Feldgeister, keine Frage. Und so stiegen wir stundenlang in der Mittagssonne über Trümmerhaufen, bis wir schließlich, in der Gegend von Times Square, zum Löwentor kamen und zu dem Fundament einer großen Halle, von der angenommen wird, dass Belsazar dort sein berühmtes Fest feierte.
    Endlich, schweißgebadet und mit staubvollem Mund, ließ ich mich unter einer Palme vor dem stehenden Gewässer niedersinken, der früher der Hauptarm des Euphrats war, und dachte über die erstaunliche Wirkung der Flüche nach, die «der ruhige Fürst» Seraja auf Anweisung Jeremias in ein Buch schreiben und das er, mit einem Stein beschwert, in den Euphrat werfen musste, auf dass mit ihm auch das Schicksal Babylons besiegelt sei. «Ein Glas Bier wäre jetzt schön», murmelte ich kaum hörbar. Die Straßenjungen saßen, die Hand noch immer ausgestreckt, in einem Kreis um mich herum. «Glas Bier», rief ihr Anführer, «subito.» Und rannte los in Richtung der Lehmhütten unter den Palmen.
    Bald darauf kehrte er zurück mit einer Flasche Münchner Exportbier, kühl und beschlagen, und einigen Datteln in einem rosa Tuch. Das ging auf Jeremia. Und es war keine Fata Morgana. Als ich die Flasche ausgetrunken hatte, sagte der Junge erwartungsvoll: «Noch eins», und lief los, eine zweite zu holen. Durch das Münchner erfrischt, begannen die hängenden Gärten, den Staub abzuschütteln. Bel und Marduk saßen wieder in ihren Sternengemächern hoch oben in den Wolkenkratzertempeln, und Ischtars charmante Girls sangen unter den Palmen. Und zwar «Deutschland, Deutschland über alles».
    Nun ja, wenn allein schon die Hoffnung der Bagdadbahn dafür sorgt, dass Münchner Bier über die Staubhügel von Babylon fließt ... Aber das ging auf einen der hebräischen Propheten.

3. Unabhängigkeitserklärung
     
    In Bagdad, genau wie im alten Rom, werden Besuche im Morgengrauen abgestattet. Gähnend dirigierte mich der Guide durch noch nachtkühle Gassen, unter schmalen, zerfallenden Bögen, vorbei an rissigen Lehmmauern, bis wir zu einer steilen Treppe in einer dicken Wand kamen. Am oberen Ende wartete ich in einem dunklen Zimmerchen, während der Guide durch eine Tür mit türkischen Intarsien voranging. Wenig später kam er zurück und führte mich in einen leeren, mit Teppichen ausgelegten Raum. «Und Scheich Soundso?» Er machte eine tätschelnde Handbewegung. «Schwajja, schwajja ...»
    Wir setzten uns in eine kleine Fensternische. Unten floss der Tigris, schnell und braun, mit blauem Dunst überzogen. «Heutzutage», fuhr der Mann fort, «ist es für einen irakischen Patrioten sehr gefährlich ... Wir haben die Engländer in ihrem Kampf gegen die Türken gern unterstützt. Aber jetzt ist alles anders. Die Engländer sind wie der alte Mann des Meeres: zuerst sind sie leicht, dann werden sie immer schwerer. Und wenn ein wichtiger Mann sich gegen sie stellt ... nun ja ... Cokus 26 lädt ihn zum Tee ein ... und wenn er am nächsten Tag aufwacht, ist er unterwegs nach Ceylon. Der Mann, den wir heute besuchen, hat große Angst, von Cokus zum Tee eingeladen zu werden.»
    Schließlich wurden wir von einem Jungen mit einem roten Tuch um den Kopf in eine Halle geführt, Teppiche auf dem Boden, ringsum große Sitzkissen an der Wand. Nach den unerlässlichen Begrüßungsformeln nahmen wir am anderen Ende des Saals Platz, in der Nähe eines alten Herrn in taubengrauem Gewand mit einem prachtvollen goldenen und silbernen Bart. Wir tranken Kaffee, und schließlich wandte sich der alte Herr an mich. Er sprach mit leiser, warmer Stimme, die Augen zu Boden gerichtet, und mit langen braunen Fingern strich er gelegentlich an seinem Bart entlang, ohne ihn zu berühren. Und wenn er innehielt, damit der Guide dolmetschen konnte, musterte er uns scharf. Mir fiel auf, dass er blaue Augen hatte.
    Der große amerikanische Scheich Washiton, sagte er, habe vor vielen Jahren ein Buch geschrieben, in dem er die Unabhängigkeit Amerikas von den Ingliz erklärt habe. Seitdem hätten wir insoweit die Gebote des Propheten befolgt, als wir an einen einzigen Gott glaubten und der Genuss von Wein verboten sei. Das sei alles ganz ausgezeichnet. Und in dem großen europäischen Machtpoker in Paris habe unser Mister Vilson, ebenfalls ein großer Scheich, in seinen Vierzehn Punkten erklärt, dass alle Nationen frei, gleich und unabhängig seien. Auch das sei sehr gut. Wenn es nicht der Wille Gottes gewesen

Weitere Kostenlose Bücher