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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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der die Dinge heraufbeschwört, die unsere grausamen Rachegötter sind. Turbinen, Dreifach-Expansionsdampfmaschinen, Dynamit, Hochspannungsleitungen. Navigation, Tempo, Flucht, Vernichtung. Gegen sie kommt keine Medizin an. Die Kubisten haben Fetische und Amulette erfunden, die vielen nützlich erscheinen. Hier ist das Bekenntnis eines enfant du siècle , eines wandernden Parisers:
     
    So durchquere ich, zu Fuß, jeden Abend Paris
    Vom Batignolles zum Quartier Latin, als überquerte ich
       die Anden
    Unter dem Aufflammen neuer Sterne, immer größerer, die
       mich immer mehr erschrecken.
    Über seinem neuen Kontinent taucht das Kreuz des Südens
       mit jedem Schritt, mit dem man sich ihm nähert, wenn
       man die Alte Welt hinter sich lässt
    Umso gewaltiger auf.
     
    Ich bin der Mann, der keine Vergangenheit mehr hat. – Nur
       mein Stumpf tut mir weh. –
    Ich habe ein Zimmer gemietet, um mit mir ganz allein zu sein.
    Ich habe einen funkelnagelneuen Weidenkorb, der sich mit
       Manuskripten füllt.
    Ich habe weder Bücher noch Bilder, keinerlei
       nette Nippsachen.
    Eine Zeitung liegt auf dem Tisch herum.
    Ich arbeite in meinem nackten Zimmer, hinter
       einer Milchglasscheibe
    Barfuß auf roten Bodenfliesen, und spiele mit Ballonen
       und einer kleinen Kindertrompete:
    Ich arbeite am ENDE DER WELT.
     
    Ich begann mit diesen Anmerkungen auf dem kleinen sonnigen Balkon in Marrakesch, vor mir der hohe kakaobraune Turm der Koutoubia mit dem pfauenfarbenen Fries, bekrönt von drei goldenen Kugeln, eine kleiner als die andere, und dahinter die schneebedeckten Berge des Hohen Atlas. Ich beende sie in Mogador in einer verschlossenen Straße, die Häuser weiß wie saure Milch, laute Schritte über dem unablässigen Meeresrauschen in der Ferne. Es ist die Zeit des Nachmittagsgebets, die Stimme des Muezzins erklingt metallisch vom Himmel und verkündet, dass es keinen Gott gibt außer Allah und Mohammed sein Prophet ist. Und ich reise ab um sechs Uhr morgens, vor mir nichts als Räder und hinter mir nichts als Räder. O Thos. Cook and Son, die ihr das Reisen mit langen Fahrscheinbündeln erfunden habt, welchen Zauber habt ihr über die Kinder dieses Jahrhunderts ausgesprochen? Wie verlockend all diese Namen – Bagdadbahn, Kap-Kairo, Transsibirische Eisenbahn, Compagnie des Wagons Lits et des Grands Express Européens, Grand Tronc, Christus der Anden; Panamakanal, technisches Spielzeug, das die Herren Roosevelt und Goethals zum Funktionieren brachten, während alle anderen daran gescheitert sind – für die Bewohner der beiden Amerika habt ihr viele Probleme in euren gigantischen Schleusen angehäuft. Die Fahnen, die Dollars und Cook’s Touristen jagen um die Welt, bis sie einander auf dem Rückweg wieder begegnen. Hier, in Marokko, kann man sie sehen, Stunde um Stunde, wie sie das Minarett begaffen, von dem der Muezzin fünfmal am Tag seinen erhabenen Widerstand gegen das multiple Universum verkündet.
    Wenn es nicht so viele Götter gäbe, Konservendosengötter, Stahlgötter, Götter aus Uran und Mangan, lebendige Götter – Mrs. Besant beispielsweise, die, in Oxford gründlich dafür ausgebildet, in Bombay einen neuen Jesus ausruft –, rote Götter von Hungersnot und Revolution, alte Götter in Bibliotheken, korallenfarbene Gipsgottheiten in Miami, sprudelnde Ölgötter in Tulsa, Oklahoma, könnten auch wir auf unseren Gebetsteppichen sitzen im weißen unabänderlichen Sonnenschein des Islam, was Hingabe bedeutet. Die Sonne unserer Generation ist pickelig geworden, ihr brüchiges Licht flackert in Streifen von undefinierbarer Farbe. Nehmen wir den Zug, in Florida wird Glück grundstückweise verkauft. Also müssen wir die Kontinente durchqueren, immer mit dem Rattern von Rädern in den Ohren, mit dem Dröhnen von Flugzeugmotoren, durch alle Meere schlingern, mit dem Geruch von heißem Maschinenöl in der Nase und dem Stampfen der Maschinen in unserem Blut. Was entsteht aus dem Babel aufeinandergetürmter Städte und Kontinente, einer kleingepressten und langgezogenen Welt, die wie ein neuer Gummiball springt? Bestimmt nicht Frieden. Darum ist es gut, in diesem Zeitalter gigantischer Maschinen und flachköpfiger Menschen ein wenig Musik zu haben. Wir brauchen Söhne Homers, die das schrille Getöse der Welt in einen menschlichen Rhythmus bringen und uns die Angst nehmen.

XIII   KIF
     
     
    Gare St. Lazare. Ein Mann sitzt am Fenster eines Restaurants und isst Buchstabensuppe.
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