Orphan 1 Der Engel von Inveraray
komplizierten Maschinen, die hämmerten, pressten und dampften, bevor sie am Ende einen Knopf oder einen Kessel ausspuckten.
Jack schnaubte verächtlich. „Ich würde nie an einem solchen Ort arbeiten. Da kann man ebenso gut im Gefängnis sein ... oder tot."
„Wie willst du dann Geld verdienen?" wunderte sich Jamie.
„So, wie ich es immer getan habe. In Glasgow wimmelt es von feinen Herrschaften, die nur darauf warten, um das ein oder andere erleichtert zu werden. Die meisten von ihnen sind so reich, dass sie nicht einmal merken, wenn ihnen eine Brieftasche oder eine Uhr fehlt, und wenn es ihnen auffällt, kümmert es sie nicht."
Annabelle verzog ihren rosaroten Mund. „Du darfst nicht wieder mit dem Stehlen anfangen, Jack. Du könntest ertappt werden und abermals im Gefängnis landen."
„Wie soll Genevieve dich denn in Glasgow finden?" fragte Grace. „Die Gefängnisse dort müssen riesig sein."
„Ich bin nicht darauf angewiesen, dass Genevieve mich findet", erwiderte Jack. „Und ich werde nicht im Gefängnis enden. Ich habe mein ganzes Leben lang gestohlen und bin nie erwischt worden ... außer dieses eine Mal", fügte er widerwillig hinzu.
„Wenn du von hier fortläufst, bringst du aber Genevieve in sehr große Schwierigkeiten."
Charlottes ruhige, ernste Bemerkung brachte den ganzen Raum zum Schweigen.
Keines der Kinder wollte, dass Genevieve etwas Schlechtes widerfuhr.
Jack rutschte unruhig auf dem Bett hin und her. Der Gedanke, Genevieve noch zusätzlichen Ärger zu bereiten, behagte ihm nicht, doch er hielt es nicht für Grund genug zu bleiben. Schließlich musste er zuerst an sich selbst denken. So war es seit seiner Geburt gewesen, und er hatte nicht vor, dies zu ändern, nur weil Genevieve so freundlich gewesen war, ihn aus dem Gefängnis zu holen und davor zu bewahren, von diesem Scheusal von Wärter ausgepeitscht zu werden. Selbst wenn sie sich danach in Gefahr begeben hatte, um auch Haydon zu helfen, und an dessen Seite gewacht hatte, als der Lord vor Fieber glühte, und dann gelogen und allen erzählt hatte, er sei ihr Ehemann, um ihn vor der sicheren Verhaftung zu bewahren. Sie war für sie beide Risiken eingegangen, gewiss, doch das bedeutete nicht, dass er, Jack, gezwungen war zu bleiben.
Schuldgefühle nagten an seinem Gewissen.
„Wenn Genevieve wegen dir in Schwierigkeiten gerät, Jack, werden sie uns vielleicht alle von hier fortbringen", durchbrach Grace die Stille.
„Das dürfen sie nicht." Jamie schaute sie entsetzt an. „Oder doch?"
„Ich glaube nicht, dass sie dich ihr wegnehmen, Jamie", beruhigte ihn Simon. „Du warst nie im Gefängnis."
„Ich bin im Gefängnis geboren." Sein Stimmchen bebte vor Stolz, das Ergebnis vieler langer Gespräche mit Genevieve, in denen sie dem Jungen einen unbeugsamen Sinn für Würde in Bezug auf seine Herkunft und die unglücklichen Umstände seiner Geburt eingeflößt hatte.
„Das zählt nicht", meinte Annabelle. „Du hast weder gestohlen noch irgendein Gesetz gebrochen wie wir anderen. Das Gericht kann dich nicht nur wegen deines Geburtsortes von hier entfernen."
„Wenn sie uns das Haus wegnehmen und wir nichts mehr zu essen haben, werden sie uns alle in ein Waisen- oder Arbeitshaus stecken", sagte Grace. „Genevieve wird sie nicht daran hindern können."
„Nein!" Charlotte schluckte mühsam und versuchte angestrengt, tapfer zu sein und nicht in Tränen auszubrechen. „Ich kann an einem solchen Ort nicht leben. Ich weiß, dass sie grausam zu mir sein werden, weil ich humpele, und mir Aufgaben geben, die ich nicht erfüllen kann, und wenn ich zu langsam dabei bin, werden sie mich schlagen und behaupten, ich sei faul und dumm ..." Tränen strömten ihre Wangen hinab. „Und niemand von euch wird bei mir sein, um mir Kraft zu geben ..."
„Schscht", tröstete Grace, legte die Arme um Charlotte und zog sie an ihren schlanken Körper.
Mit ihren zwölf Jahren war sie kaum ein Jahr älter als Charlotte, doch das Leben, das sie bisher geführt hatte, hatte ihr eine Reife und Empfindsamkeit verliehen, die ihr zartes Alter Lügen strafte. Als Achtjährige war sie vor einem Onkel davongelaufen, der versucht hatte, sich an ihr zu vergehen. Danach hatte sie sich ein Jahr lang einer kleinen Bande von Taschendieben angeschlossen, bis sie schließlich gefasst und durch Genevieve aus dem Gefängnis gerettet worden war. „Was auch immer geschieht, ich werde nicht zulassen, dass man uns trennt, Charlotte. Hörst du?"
„Und ich auch
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