Orphan 1 Der Engel von Inveraray
langsam.
„Natürlich kann ich das", widersprach Haydon ungerührt. „Als Ihr Ehemann wird das sogar von mir erwartet."
„Wir sind bereits einmal mit knapper Not dem Verderben entronnen, als Governor Thomson und Police Constable Drummond Sie gesehen haben", entgegnete sie.
„Einmal konnten wir sie täuschen, doch das bedeutet nicht, dass es uns auch ein zweites Mal gelingen wird. Außerdem besteht die Gefahr, dass dieser scheußliche Wärter, ein Gerichtsdiener oder ein Mitgefangener Sie erkennt. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen."
„Ich fürchte, das Mädchen hat Recht", bemerkte Oliver nüchtern.
„Dann werde ich eben meine Stimme und meinen Gang verstellen", meinte Haydon.
„Nein", antwortete Genevieve in resolutem Tonfall. In Wahrheit hätte sie Haydons Gegenwart im Gefängnis als tröstend empfunden, doch die Gefahr, dass er als Lord Redmond erkannt und abermals eingekerkert werden würde, war zu groß. „Eines meiner Familienmitglieder befindet sich bereits im Gefängnis, Haydon. Ich werde nicht riskieren, dass man auch Sie verhaftet."
„Dann werde ich Sie begleiten", sagte Jack. „Ich werde ihnen versichern, dass Charlotte nichts mit dem Juwelenraub zu tun hat. Sie sollen mich statt ihrer verhaften. Der alte Thomson ist ganz erpicht darauf, mich auspeitschen zu lassen und in eine Besserungsanstalt abzuschieben, genau wie dieser verfluchte Constable Drummond. Was immer sie mit mir anstellen, ich kann viel besser auf mich selbst aufpassen als Charlotte."
Genevieve betrachtete Jack erstaunt. Seine grauen Augen funkelten vor Entschlossenheit, seine Hände waren zu Fäusten geballt. Sie hatte immer gewusst, dass er des Mitgefühls fähig war. Die Tatsache, dass er seine eigene Freiheit aufs Spiel gesetzt hatte, um Haydon bei der Flucht zu helfen, hatte dies deutlich gezeigt.
Dennoch rührte es sie zutiefst, dass er bereit war, sich für Charlotte zu opfern.
„Ich fürchte, das kann ich dir nicht erlauben, Jack. Du möchtest Charlotte helfen, das weiß ich, doch der Gefängnisdirektor wird gewiss nicht zulassen, dass du dich gegen eine seiner Gefangenen austauschen lässt, sondern dich ebenfalls verhaften, und dann muss ich mich um euch beide sorgen. Ich werde allein gehen, diese Juwelen zurückgeben und Governor Thomson und Constable Drummond davon überzeugen, dass sie keinen Grund haben, Charlotte weiterhin festzuhalten. Und sobald sie heil wieder zu Hause ist", schloss Genevieve und ließ den Blick über die mutlos dreinschauenden Kinder schweifen, „werden wir uns ausführlich über euren Versuch unterhalten, Mr. Ingram auszurauben."
Constable Drummond guckte Genevieve mit geheucheltem Mitgefühl über die Spitzen seiner knochigen Finger hinweg an. Seine blassen Hände waren ungewöhnlich groß, die Fingernägel lang und nicht ganz sauber. Zusammen mit seinem fettigen Haar ließ dies darauf schließen, dass er es mit seiner persönlichen Reinlichkeit nicht allzu genau nahm. Gewiss, da waren seine schwarzen Koteletten, die er striegelte und kämmte, doch selbst diese hätten wieder einmal gestutzt werden müssen. Genevieve hatte schon immer vermutet, dass er weder verheiratet noch anderweitig liiert war, doch erst als sie ihm in Governor Thomsons Arbeitszimmer gegenübersaß und ihr sein muffiger Geruch in die Nase stieg, wurde ihr klar, dass er keinerlei Wert darauf legte, sein freudloses Leben mit einer Frau zu teilen.
„Sie können sich sicherlich denken, Mrs. Blake, dass die Verwicklung der Angeklagten in den brutalen Überfall auf Mr. Ingram und Lord und Lady Struther sämtliche Vereinbarungen, die Sie bezüglich ihrer Vormundschaft mit Governor Thomson getroffen haben, null und nichtig werden lässt." Constable Drummond lächelte nicht wirklich, doch Genevieve spürte, dass es ihm größtes Vergnügen bereitete, ihr dies mitzuteilen.
„Soweit ich weiß, hat Charlotte weder etwas gestohlen noch jemanden angegriffen", erwiderte sie. „In Anbetracht der Tatsache, dass ich alle fehlenden Schmuckstücke zurückgebracht habe und Mr. Ingram in voller Höhe zu entschädigen gedenke, betrachte ich die Angelegenheit als weitestgehend erledigt. Ich sehe daher keinen Grund, warum Charlotte weiterhin in Haft bleiben muss. Seien Sie also bitte so freundlich, mich zu ihr zu bringen, damit ich sie mit nach Hause nehmen und mich dort mit ihr befassen kann."
„Leider ist die Lage nicht ganz so einfach, Mrs. Blake", entgegnete Governor Thomson und kratzte sich am Bart.
Es warf kein
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