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Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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davor, wo er wohl hinging, während er schlafwandelte. Angst vor dem, was er möglicherweise tat. Angst vor dem, was er vielleicht in seinen Händen vorfand, wenn er wieder aufwachte.

22
    Derek schlief. In dem anderen Bett. Er schnarchte leise.
    Thomas konnte nicht schlafen. Er war aufgestanden, stand am Fenster und schaute hinaus. Der Mond war weg. Die Dunkelheit war sehr groß.
    Er mochte die Nacht nicht. Sie jagte ihm Angst ein. Er liebte den Sonnenschein und Blumen, hell und leuchtend, und Gras, das grün aussah, und einen Himmel, der ganz und gar blau war, so daß man das Gefühl haben konnte, über die Welt sei ein Deckel gestülpt, der alles hier unten auf dem Boden und an Ort und Stelle hielt. Nachts waren alle Farben verschwunden, und die Welt war leer, als hätte
    jemand den Deckel abgenommen und ein großes Nichts, eine große Leere hereingelassen. Und dann sah man hinauf zu diesem Nichts, in diese Leere, und hatte das Gefühl, man könne möglicherweise wegschweben wie die Farben, hinauf und wegschweben und aus der Welt hinaus, und wäre dann am Morgen, wenn sie den Deckel wieder überstülpten, nicht mehr da, dann wäre man irgendwo da draußen und könnte niemals wieder zurückkehren. Niemals.
    Er legte die Fingerspitzen an die Fensterscheibe. Das Glas  war kühl. Er wünschte, er könnte die Nacht verschlafen. Gewöhnlich schlief er ganz gut. Nicht heute.
    Er machte sich Sorgen um Julie. Er sorgte sich immer ein wenig ihretwegen. Von einem Bruder konnte man erwarten, daß er sich sorgte. Doch diesmal machte er sich nicht ein wenig Sorgen. Diesmal war er in großer Sorge.
    Es hatte erst an diesem Vormittag begonnen. Ein komisches Gefühl. Nicht komisch, ha-ha. Eigenartig komisch. Gruselig komisch. Julie wird etwas wirklich Schlimmes passieren, sagte das Gefühl. Das hatte Thomas so aufgeregt, daß er versuchte, sie zu warnen. Er hatte ihr eine Warnung tevaut. Sie sagten, die Bilder, die Stimmen und die Musik im TeVau -dem Fernsehgerät - würden durch die Luft geschickt, was er zunächst für eine Lüge gehalten hatte. Zunächst hatte er geglaubt, sie machten sich über ihn lustig, weil er nun mal dumm war.
    Sie erwarteten, daß er alles glaubte, doch dann hatte Julie gesagt, es stimme. Deshalb versuchte er manchmal, seine Gedanken zu ihr zu tevauen, denn wenn man Bilder und Musik und Stimmen durch die Luft schicken konnte, sollte es doch leicht sein, Gedanken zu übermitteln. Sei vorsichtig, Julie, tevaute er. Paß auf, sei vorsichtig, etwas Schlimmes wird passieren.
    Wenn er Ahnungen über jemanden hatte, war dieser jemand gewöhnlich Julie. Er wußte, wann sie glücklich war. Oder traurig. Wenn sie krank war, rollte er sich manchmal auf seinem Bett zusammen und preßte die Hände auf seinen eigenen Bauch. Er wußte immer, wann sie zu Besuch kommen würde.
    Er hatte auch Ahnungen, was Bobby betraf. Nicht am Anfang. Als Julie Bobby das erste Mal mitgebracht hatte, hatte Thomas nichts gespürt. Doch langsam hatte er mehr gespürt. Und jetzt, jetzt fühlte er fast genausoviel für Bobby wie für Julie.
    Er hatte auch Ahnungen, was einige andere Leute anging. Derek beispielsweise. Gina beispielsweise, ein junges Mädchen im Heim, das ebenfalls an DS litt. Und ein paar der Pfleger beispielsweise, eine der Schwestern beispielsweise.
    Bei ihnen aber spürte er halb soviel wie bei Bobby und Julie. Er war überzeugt, das liege möglicherweise daran, daß er mehr fühlte, mehr spürte, je mehr er jemanden liebte - mehr Dinge über ihn wußte.
    Manchmal, wenn Julie sich seinetwegen Sorgen machte, wollte Thomas ihr unbedingt sagen, er wisse, was sie fühle, und daß er okay sei. Denn sie würde sich schon glücklicher fühlen, wenn sie nur wüßte, daß er sie verstand. Aber ihm fehlten die Worte. Er konnte nicht erklären, wie und warum er manchmal die Gefühle anderer Menschen ebenfalls fühlte. Und er wollte nicht versuchen, ihnen das erklären zu wollen, weil er Angst hatte, dann dumm auszusehen.
    Er war dumm. Er wußte das. Er war nicht so dumm wie Derek, der sehr nett war, mit dem man gut zusammenwohnen konnte, der aber wirklich schwerfällig, wirklich begriffsstutzig war. Manchmal sagten sie »schwerfällig« statt »dumm«, wenn sie sich unterhielten, während man dabei war. Julie tat das niemals. Bobby tat das niemals. Doch einige Leute sagten »schwerfällig« und dachten, man bekäme es nicht mit. Er kriegte es mit. Sie hatten auch noch schwerere Wörter, und die verstand er nicht wirklich, aber

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