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Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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seinen besonderen Begabungen - er konnte im Dunkeln ebensowenig sehen wie andere. Trotzdem erahnte er auch in der finstersten Nacht, wenn sich vor ihm Hindernisse auftürmten, die Konturen des Landes so gut, daß er mit nachtwandlerischer Sicherheit vorwärtsstürmen konnte.
    Er wußte nicht, welchem Zweck dieser sechste Sinn diente, und er tat nichts Besonderes, wenn er ihn brauchte und einsetzen wollte. Da war einfach diese unheimliche Vertrautheit mit seiner Umgebung, er wußte immer genau, wo er war, so ähnlich wie die besten Drahtseilartisten, die trotz verbundener Augen und der zu ihnen aufblickenden Zirkuszuschauer selbstsicher auf dem straffgespannten Seil vorwärtsgingen.
    Dies war ein weiteres Geschenk seiner Mutter. All ihre Kinder waren begabt. Doch Candys Talente übertrafen die von Violet, Verbina und Frank.
    Der schmale Durchgang öffnete sich nun zu einem weiteren Tal. Candy wandte sich wieder nach Osten und hastete jetzt, da sein Verlangen wuchs, an einem felsigen Abflußgraben entlang. Obwohl nun weiter auseinanderliegend, thronten hoch oben auf der Felsklippe immer noch Häuser. Ihre hellen Fenster waren zu weit entfernt, um den Boden vor ihm zu beleuchten, doch hin und wieder schaute er verlangend zu den Häusern hinauf, weil dort das Blut war, das er brauchte.
    Gott hatte Candy einen Blutdurst mitgegeben, ihn zu einem räuberischen Lebewesen geformt, und deshalb war Gott auch für alles verantwortlich, was Candy tat. Seine Mutter hatte ihm das schon vor langer Zeit erklärt. Gott wollte allerdings, daß er beim Töten wählerisch war. Doch wenn Candy nicht in der Lage war, sich zurückzuhalten, lag die Schuld daran letztlich bei Gott, denn er hatte Candy den Blutdurst schließlich eingeflößt, ihm aber nicht die Stärke verliehen, ihn zu kontrollieren.
    Wie die aller Räuber war Candys Mission die, die Kranken und Schwachen der Herde auszulöschen. In seinem Fall waren die vorgesehenen Opfer, die zukünftige Beute, die moralisch entarteten Mitglieder der menschlichen Herde: die Diebe, Lügner, Betrüger, Ehebrecher. Unglücklicherweise erkannte er die Sünder nicht immer, wenn er sie traf. Als seine Mutter noch lebte, war die Erfüllung seiner Mission viel leichter gewesen, denn sie hatte keine Schwierigkeiten gehabt, die schädlichen und verdorbenen Seelen für ihn herauszufiltern.
    Heute nacht würde er sich bemühen, das Töten so weit wie möglich auf das Wild aus den Bergen zu beschränken. Menschen umzubringen - besonders so nahe beim Haus - war riskant. Es konnte die Polizei auf ihn aufmerksam machen. Ortsansässige zu töten, konnte er sich nur dann leisten, wenn sie der Familie in irgendeiner Art in die Quere geraten waren und man ihnen das einfach nicht durchgehen lassen durfte.
    Wenn er nicht in der Lage war, sein Verlangen mit Tierblut zu stillen, würde er irgendwo anders hingehen, irgendwohin, und Menschen töten. Seine Mutter dort oben im Himmel würde ärgerlich sein auf ihn und enttäuscht, weil es ihm an der nötigen Kontrolle fehlte, doch Gott würde ihm nicht die Schuld zuschieben können. Immerhin war er nur der, zu dem Gott ihn geschaffen hatte.
    Nachdem die Lichter des letzten Hauses hinter ihm lagen, blieb er in einem Hain voller Myrtenheide stehen. Der Sturm des vergangenen Tages hatte sich hier oben völlig gelegt und war durch die Täler hinaus aufs Meer ausgewichen. Gegenwärtig war es windstill. Von den Zweigen der Myrtenheide hingen die Ranken und Triebe schlaff nach unten, und die messerscharfen Blätter waren völlig bewegungslos.
    Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Die Bäume schimmerten silbern im schwachen Sternenlicht, und ihre kaskadenartigen Ranken trugen zu der Illusion bei, er stünde neben einem Wasserfall oder sei eingeschlossen in den Flockenwirbel eines Briefbeschwerers. Er konnte sogar die in Fetzen herabhängenden Rindenstreifen erkennen, die sich von den Stämmen und Zweigen in dem ständigen Schälprozeß abrollten, der diesen Bäumen eine so einzigartige Schönheit verlieh.
    Er konnte keine Beute sehen. Er konnte in den Büschen auch nicht die verstohlenste Bewegung irgendeines Wildtieres erkennen.
    Trotzdem - er wußte, daß sich eine Unzahl kleiner, mit warmem Blut angefüllter Tiere ganz in seiner Nähe in Erdlöchern, Höhlen, geheimen Nestern, in den Verwehungen abgefallener Blätter und in geschützten Felsspalten verbarg. Der bloße Gedanke daran ließ ihn halb verrückt werden vor Hunger.
    Er streckte die Arme aus, hob

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