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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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sahen – Körperteile, die sich in Zeitlupe über den Bildschirm bewegten, ein Unterwasserballett aus Fleisch und Blut unter Anspannung, Hart und Weich, die sich vereinigten und wieder trennten, Gestöhne und Geschrei, Nahaufnahmen von zugekniffenen Augen und zusammengebissenen Zähnen, Gespritz unterschiedlicher Herkunft. Wenn man schnell hin und her wechselte, sah irgendwann alles aus wie ein und dasselbe Ereignis. Manchmal ließen sie beides zugleich laufen, auf je einem Bildschirm.
    Diese Sitzungen fanden zum größten Teil in völliger Stille statt, unterbrochen nur von der Geräuschkulisse aus den Computern. Meist war es Crake, der entschied, was sie sich ansahen und wann Schluss damit war. Verständlich, immerhin waren es seine Computer. Dann sagte er: »Fertig damit?«, und wechselte zu einer anderen Site. Nichts, was er sah, schien ihn auf die eine oder andere Weise zu beeindrucken, außer wenn er etwas witzig fand. Auch schien er nie high zu werden.
    Jimmy vermutete, dass er in Wirklichkeit gar nicht inhalierte.
    Jimmy hingegen pflegte nach Hause zu wanken, noch berauscht vom Dope und mit dem Gefühl, eine Orgie hinter sich zu haben, eine Orgie, bei der er allem, was ihm passierte – was mit ihm angestellt wurde –, wehrlos ausgeliefert war. Er fühlte sich auch sehr leicht, als bestünde er aus Luft; aus dünner Luft, von der ihm schwindelte, wie auf einem müllübersäten Mount Everest. Im heimatlichen Basislager schienen seine Elterneinheiten – vorausgesetzt, sie waren da und nicht im Schlafzimmer zugange – nie etwas zu merken.
    »Kriegst du genug zu essen?«, sagte Ramona manchmal und deutete sein Genuschel als Ja.

HottTotts
    Der späte Nachmittag war die beste Zeit für solche Aktivitäten in Crakes Zimmer. Niemand störte sie. Crakes Mutter war entweder außer Haus oder in Eile; sie war Diagnostikerin im Krankenhauskomplex. Sie war eine tiefernste, angespannte Frau mit kantigem Kinn, dunkelhaarig und ziemlich flachbrüstig. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Jimmy zur selben Zeit wie sie da war, sagte sie nicht viel. Sie stöberte in den Küchenschränken, um etwas zu finden, was als Imbiss für »euch Jungs«
    durchgehen konnte, wie sie die beiden nannte. Manchmal, wenn sie alte Kekse auf einen Teller schüttete, zähe orange und weiß geäderte Stücke Käsenahrung aufschnitt, erstarrte sie mitten in ihrem Tun und stand stocksteif da, als hätte sie noch eine weitere Person im Raum erblickt.
    Jimmy hatte das Gefühl, dass sie seinen Namen vergessen hatte; und nicht nur seinen, sondern auch den ihres Sohns. Manchmal fragte sie Crake, ob sein Zimmer aufgeräumt sei, obwohl sie selbst es nie betrat.
    »Sie hält sehr viel von der Privatsphäre des Kindes«, erklärte Crake mit ungerührter Miene.
    »Ich wette, es sind deine verschimmelten Socken«, sagte Jimmy. »Alle Düfte Arabiens werden diese Socken nicht versüßen.« Er hatte jüngst die Freuden des Zitierens entdeckt.
    »Für so was haben wir Raumspray«, sagte Crake.
    Was Onkel Pete betraf, so kam er selten vor sieben nach Hause.
    HelthWyzer dehnte sich aus wie Helium, und deshalb hatte er eine Menge neuer Verantwortungen. Er war nicht Crakes leiblicher Onkel, sondern der zweite Ehemann seiner Mutter. In diesen Stand war er eingetreten, als Crake ungefähr zwölf gewesen war, schon ein paar Jahre zu alt, um in dem Etikett »Onkel« etwas anderes zu sehen als eine widerliche Verschleierung. Aber Crake hatte den Status quo akzeptiert, so schien es jedenfalls. Er lächelte, sagte: Klar, Onkel Pete und Das stimmt, Onkel Pete, wenn sein Stiefvater zu Hause war, obwohl er ihn nicht ausstehen konnte, wie Jimmy wusste.

    Eines Nachmittags im – wann? Es muss März gewesen sein, denn draußen war es bereits heiß wie die Hölle – saßen die beiden in Crakes Zimmer und sahen sich Pornos an. Es war schon wie in der guten alten Zeit, es war schon wie Nostalgie – als wären sie dafür eigentlich schon zu erwachsen, wie Männer mittleren Alters, die sich in den Plebsland-Teeny-Clubs herumtrieben. Trotzdem steckten sie pflichtbewusst einen Joint an, zapften über ein neues Labyrinth Onkel Petes digitale Kreditkarte an und begannen zu surfen. Sie besuchten »Die Torte des Tages«, die sich diesmal kunstvoll mit Konfekt garniert zeigte, klickten sich weiter zu den Superschluckern, dann zu einer russischen Site, die ehemalige Akrobaten, Tänzerinnen und Schlangenmenschen beschäftigte.
    »Wer hat gesagt, dass sich ein Kerl nicht selber einen

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