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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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erschien, wenn man sich einloggte. Dann musste man seinen Codenamen eingeben und sich für einen der beiden Chatrooms entscheiden – Tierreich oder Pflanzenreich. Daraufhin meldete sich online ein Herausforderer unter seinem Codenamen –
    Komodo, Rhino, Lamantin, Hippocampus ramulosus – und bot einen Wettbewerb an. Es beginnt mit… Zahl der Beine… was ist es? Das es war irgendeine Bioform, die innerhalb der letzten fünfzig Jahre ausgestorben war – kein T-Rex, kein Vogel Rock, kein Dodo; außerdem Punktabzug für den falschen zeitlichen Rahmen. Dann musste eingegrenzt werden: Stamm – Ordnung – Klasse – Familie – Gattung –
    Spezies, dann Lebensraum und Zeitpunkt der letzten Sichtung sowie Ursache des Verschwindens (Umweltverschmutzung, Zerstörung des Habitats, abergläubische Schwachköpfe, die sich vom Verzehr des Horns einen Ständer versprachen). Je länger der Herausforderer durchhielt, desto mehr Punkte bekam er, allerdings konnte man einen ordentlichen Bonus für Geschwindigkeit einheimsen. Hilfreich war es, wenn man den MaddAddam-Ausdruck über sämtliche ausgestorbenen Spezies vorliegen hatte; aber daraus erfuhr man nur die lateinischen Namen, außerdem war es ein mehrere hundert Seiten dickes, eng bedrucktes Konvolut über obskure Käfer, Kräuter, Frösche, von denen niemand je gehört hatte. Niemand außer anscheinend den Extinctathon-Großmeistern, die Gehirne wie Suchmaschinen hatten.

    Es war sofort klar, wenn man gegen einen von ihnen antrat, denn dann erschien auf dem Bildschirm ein kleines Coelacanthus-Symbol.
    Coelacanthus. Ein Quastenflosser. Prähistorischer Tiefseefisch, galt lange als ausgestorben, bis Mitte des zwanzigsten Jh.s einige Exemplare gefunden wurden. Gegenwärtiger Status unbekannt. Extinctathon war mit Gewissheit lehrreich. Wie wenn man im Schulbus neben einem todlangweiligen Besserwisser festsitzt, fand Jimmy. Es hielt einfach nie die Klappe.
    »Warum bist du eigentlich so versessen darauf?«, fragte Jimmy einmal Crakes gebeugten Rücken.
    »Weil ich gut darin bin«, sagte Crake. Jimmy hatte ihn im Verdacht, dass er Großmeister werden wollte, nicht weil der Titel irgendetwas wert war, sondern einfach, weil es ihn gab.
    Crake hatte die Codenamen für sie beide ausgesucht. Jimmy hieß Thickney, nach einem ausgestorbenen australischen Vogel mit Gummigelenken, der sich bevorzugt auf Friedhöfen aufhielt; wie Jimmy argwöhnte, hatte ihn Crake nicht zuletzt deshalb ausgesucht, weil ihm der Name klanglich sehr passend für ihn schien. Crakes Codename war Crake, eine Rothalsralle, auch aus Australien – die, sagte Crake, nie eine große Population erreichte. Eine Zeit lang nannten sie sich gegenseitig Crake und Thickney, als Insider-Witz. Als Crake merkte, dass Jimmy nicht mit ganzem Herzen bei der Sache war, und sie mit Extinctathon wieder aufhörten, verschwand auch Thickney. Aber Crake blieb hängen.

    Wenn sie nicht spielten, surften sie im Web – schauten bei alten Favoriten vorbei, um zu sehen, was es Neues gab. Sie wohnten live übertragenen Operationen am offenen Herzen bei oder besuchten die Nudisten News, was ein paar Minuten lang ganz nett war, weil die Leute dort so zu tun versuchten, als wäre nichts Ungewöhnliches dabei, als wären sie tadellos gekleidet, dabei aber peinlich vermieden, sich gegenseitig auf die nackten Titten zu starren.
    Oder sie besuchten Tier-Tod-Sites, Felicias Frosch-Squash und Ähnliches, aber das wurde bald langweilig: ein zertrampelter Frosch, eine von Hand zerrissene Katze – da war eines wie das andere. Oder sie sahen dirtysockpuppets.com, eine Politshow über Präsidenten und Minister. Crake meinte, angesichts der digitalen Bildmanipulation könne man nicht mehr sagen, ob diese Präsidenten oder was sie waren überhaupt noch existierten, und wenn ja, ob sie wirklich gesagt hatten, was man sie sagen hörte. Aber sie wurden ja so rasend schnell gestürzt und ersetzt, dass es im Grunde egal war.
    Oder sie besuchten headsoff.com, eine Website, die Live-Berichte von Hinrichtungen in Asien bot. Dort sahen sie, wie an irgendeinem Ort, der chinesisch aussah, Volksfeinde mit dem Schwert geköpft wurden, umjubelt von Tausenden Zuschauern. Oder sie sahen auf alibooboo.com, wie in staubigen Enklaven, angeblich in fundamentalistischen Nahostländern, vermeintlichen Dieben die Hand abgehackt wurde und eine heulende Menge Ehebrecherinnen und Lippenstiftträgerinnen steinigte. Das Bildmaterial dieser Site war in der Regel sehr schlecht: Da

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