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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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das Filmen angeblich verboten war, stammten die Bilder meist von einem verzweifelten armen Tropf, der mit einer verborgenen Minivideo-cam für schmutzige Westdevisen sein Leben aufs Spiel setzte. Man sah eigentlich nur die Rücken und Köpfe der Zuschauer, die Perspektive war ungefähr so, als steckte man in einem Kleiderständer fest, es sei denn, der Typ mit der Kamera wurde erwischt: Dann brach ein unscharfes Durcheinander von Händen und Textilien aus, bis das Bild schließlich schwarz wurde. Diese Blutorgien, meinte Crake, fänden wahrscheinlich auf einem Stück Brachland irgendwo in Kalifornien statt, und die Statisten dazu seien von der Straße geholt worden.
    Besser waren die amerikanischen Sites, die kommentiert wurden wie
    ein Sportereignis – »Hier kommt er! Jawohl! Das ist Joe ›Die Ratsche‹
    Ricardo, der von Ihnen, den Zuschauern, die beste Wertung bekommen hat!« Dann eine Übersicht seiner Verbrechen, mit schauerlichen Bildern der Opfer. Diese Sites hatten Werbespots für Produkte wie Autobatterien oder Beruhigungsmittel, und an den Wänden im Hintergrund prangten leuchtend gelbe Logos. Die Amerikaner brachten da wenigstens etwas Stil rein, fand Crake.
    Die besten Sites waren livewire.com, brainfnzz.com und deathrowlive.com; sie zeigten Hinrichtungen durch den elektrischen Stuhl und tödliche Injektionen. Seitdem die Live-Berichte von Exekutionen legal waren, pflegten die Todeskandidaten ihr Ende für die Kameras speziell zu inszenieren. Die meisten waren Männer, nur gelegentlich war eine Frau darunter, aber das sah Jimmy nicht gern: Wenn eine Frau abgemurkst wurde, war das eine feierliche, tränenreiche Angelegenheit, die Leute standen dann oft mit brennenden Kerzen und Fotos von den Kindern herum oder kamen mit selbst verfassten Gedichten. Bei den Männern hingegen war es oft zum Brüllen komisch: Man sah sie Grimassen schneiden, den Wärtern den Finger zeigen,
    scherzen, gelegentlich rissen sie auch aus und wurden dann durch den Raum gejagt, während sie die Lederriemen hinter sich herschleiften und wüste Beschimpfungen ausstießen.
    Crake sagte, diese Zwischenfälle seien pseudo. Er sagte, die Leute würden für die Vorstellung bezahlt, jedenfalls ihre Angehörigen. Die Sponsoren erwarteten eine gute Show, damit die Zuschauer nicht das Interesse verlören und abschalteten. Klar, das Publikum wollte Hinrichtungen sehen, aber, sagte Crake, die würden nach einer Weile so eintönig, dass ein letzter Verteidigungsversuch oder wenigstens ein Überraschungsmoment eingefügt werden müsste. Er setze zwei zu eins, dass es alles einstudiert sei.
    Das sei eine famose Theorie, sagte Jimmy. Famos war ein weiteres altes Wort, wie pseudo, das er aus den DVD-Archiven ausgegraben hatte. »Glaubst du, sie werden wirklich hingerichtet?«, fragte er. »Oft sieht es aus wie eine Simulation.«
    »Kann man nie wissen«, sagte Crake.
    »Was kann man nie wissen?«
    »Was ist Wirklichkeit?«
    »Pseudo!«
    Es gab auch eine Site für Selbstmordhilfe – nitee-nite.com lautete die Adresse –, die ein Das-war-dein-Leben-Element enthielt: Fotoalben, Interviews mit Angehörigen, tapfere Freunde, die daneben standen, während der Suizid erfolgte, und im Hintergrund lief Orgelmusik.
    Nachdem der betrübt blickende Arzt das Leben für erloschen erklärt hatte, liefen die Tonaufnahmen ab, in denen der Tote die Gründe für sein freiwilliges Hinscheiden erklärte. Als die Show angelaufen war, stieg die Zahl der Selbstmorde mit Beihilfe sprunghaft an. Angeblich gab es eine lange Warteschlange von Leuten, die bereit waren, eine Menge Geld hinzublättern, um sich öffentlich und glanzvoll um die Ecke bringen zu dürfen; Lotterien entschieden über die Teilnehmer.
    Crake grinste viel, wenn sie diese Site besuchten. Aus irgendeinem Grund amüsierte ihn die Veranstaltung; Jimmy nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich so etwas antat, anders als Crake, der meinte, es zeige Stil, wenn man wisse, wann es genug sei. Aber bedeutete Jimmys Widerwillen, dass er ein Feigling war, oder lag es nur daran, dass ihm die Orgel auf die Nerven ging?

    Diese geplanten Abgänge waren ihm unheimlich: Sie erinnerten ihn an Alex den Papagei, der gesagt hatte: Ich geh jetzt. Zu dünn war die Grenze zwischen Alex dem Papagei, den assistierten Selbstmorden und der Nachricht, die seine Mutter ihm hinterlassen hatte. Alle drei hatten ihre Absichten zuvor bekundet; alle drei waren verschwunden.

    Oder sie sahen Zu Hause bei Anna K. Anna K. war

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