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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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es behalten. Er hatte es Oryx viele Jahre später gezeigt.
    »Ich glaub nicht, dass ich das bin«, war das Erste, was sie sagte.
    »Das musst du sein!«, sagte Jimmy. »Schau! Das sind deine Augen!«

    »Viele Mädchen haben Augen«, sagte sie. »Viele Mädchen haben solche Dinge getan. Sehr viele.« Dann, als sie seine Enttäuschung bemerkte, sagte sie: »Na ja, es könnte sein. Vielleicht bin ich das.
    Würde es dich glücklich machen, Jimmy?«
    »Nein«, sagte Jimmy. War das eine Lüge?
    »Warum hast du es aufgehoben?«
    »Was hast du damals gedacht?«, sagte Jimmy statt zu antworten.
    Eine andere Frau an ihrer Stelle hätte das Bild zerknüllt, geweint, ihn als Verbrecher beschimpft, ihm vorgehalten, er verstehe nichts von ihrem Leben, hätte eine große Szene gemacht. Sie hingegen glättete das Papier, fuhr sanft mit den Fingern über das weiche, trotzige Kindergesicht, das einst – ganz sicher – das ihre gewesen war.
    »Du meinst, ich hab was gedacht?«, sagte sie. »Ach, Jimmy! Du denkst immer, dass jeder irgendwas denkt. Vielleicht hab ich gar nichts gedacht.«
    »Ich weiß es aber«, sagte er.
    »Soll ich lügen? Soll ich was erfinden?«
    »Nein. Sag’s mir einfach.«
    »Warum?«
    Darüber musste Jimmy nachdenken. Er dachte daran, wie er sie beobachtet hatte. Wie hatte er ihr das antun können? Aber es hatte ihr nicht geschadet, oder? »Weil ich es brauche.« Kein besonders triftiger Grund, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
    Sie seufzte. »Ich hab gedacht«, sagte sie und zeichnete mit dem Fingernagel einen kleinen Kreis auf seine Haut, »wenn ich je die Chance bekäme, dann wäre nicht ich diejenige, die kniet.«
    »Sondern jemand anders? Wer? Welcher jemand?«
    »Du willst immer alles wissen«, sagte Oryx.

Toast
    In seinem zerschlissenen Laken kauert Schneemensch am Waldrand, wo Gras und Wicken und Seetrauben in Sand übergehen. Seitdem es kühler ist, fühlt er sich weniger niedergeschlagen. Außerdem hat er Hunger.
    Ein Gutes hat er ja, der Hunger: Man weiß wenigstens, dass man noch lebt.
    In den Blättern über ihm raschelt eine Brise; Insekten schnarren und zirpen; die untergehende Sonne wirft ein rotes Licht auf die Türme im Wasser und beleuchtet hier und dort eine noch unversehrte Glasscheibe
    – es sieht aus, als wären ein paar Lampen angeschaltet worden. Mehrere Gebäude, die früher Dachgärten hatten, sind von der wuchernden Vegetation kopflastig geworden. Hunderte Vögel, die zu ihren Schlafplätzen zurückkehren, ziehen über den Himmel, auf diese Gebäude zu. Ibisse? Reiher? Die schwarzen sind Kormorane, das weiß er sicher. Krächzend und streitend lassen sie sich im dunkler werdenden Laub nieder. Falls er je Guano brauchen sollte, weiß er, wo er suchen muss.
    Von Süden her kommt ein Kaninchen auf die Lichtung gehoppelt, verharrt, lauscht, knabbert mit seinen Riesenzähnen am Gras. Es leuchtet in der Dämmerung, verbreitet einen grünlichen Lichtschein, den es den Iridozyten einer Tiefseequalle verdankt; das war ein Experiment vor langer Zeit. Im Zwielicht sieht das Kaninchen weich und beinahe durchscheinend aus, wie ein Stück Fruchtgelee; als könnte man seinen Pelz ablecken wie Zucker. Schon in seiner Jugend hat es grün leuchtende Kaninchen gegeben, damals waren sie allerdings noch nicht so groß – aber damals waren sie auch noch nicht ihren Käfigen entkommen, um sich mit der wilden Population zu vermischen und zur Landplage zu werden. Dieses Kaninchen hat keine Angst vor ihm, obwohl es fleischfresserische Gelüste in ihm weckt: Er sehnt sich danach, es mit einem Stein zu erschlagen, mit bloßen Händen aufzureißen und sich das Fleisch samt Fell in den Mund zu stopfen.
    Aber Kaninchen gehören zu Oryx’ Kindern und sind Oryx selbst heilig, und es wäre keine gute Idee, die Frauen zu kränken.

    Er ist selber schuld. Er muss betrunken gewesen sein, als er die Gesetze festlegte. Er hätte Kaninchen essbar machen sollen, auf jeden Fall essbar für ihn, aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Er kann Oryx beinahe hören, wie sie ihn auslacht, mit nachsichtigem, ein wenig boshaftem Vergnügen.
    Oryx’ Kinder, Crakes Kinder. Er hatte sich ja etwas einfallen lassen müssen. Deine Geschichte muss logisch sein, so einfach wie möglich, verwickle dich nicht in Widersprüche: Das war der fachmännische Rat, den Anwälte Verbrechern auf der Anklagebank zu erteilen pflegten.
    Crake schuf die Knochen von Crakes Kindern aus den Korallen vom Strand und ihr Fleisch aus

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