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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Boden…
    »Vergiss es«, sagt Schneemensch. »Versuchen wir’s noch mal.« Toast war eine sinnlose Erfindung des Finsteren Zeitalters. Toast war ein Folterwerkzeug, das alle, an denen es angewandt wurde, zwang, die Sünden und Verbrechen ihres früheren Lebens in verbaler Form auszuspeien. Toast war ein rituelles Objekt, das Fetischisten verschlangen, weil sie sich von ihm eine Verbesserung ihrer kinetischen und sexuellen Energie versprachen. Toast lässt sich nicht rational erklären.
    Toast ist ich.
    Ich bin Toast.

Fisch
    Der Himmel verfärbt sich von Ultramarin zu Indigo. Gott segne die Benenner von Ölfarben und weiblicher Luxusunterwäsche, denkt Schneemensch. Teerose, Karmesin, Rauchblau, Gebrannte Umbra, Aubergine, Indigo, Ultramarin – sie sind Fantasien für sich, solche Wörter und Wendungen. Es ist tröstlich, sich zu erinnern, dass Homo sapiens sapiens einst so erfindungsreich mit der Sprache umging, und nicht nur mit der Sprache. Erfindungsreich in allen Richtungen zugleich.
    Affenhirne, war Crakes Kommentar gewesen. Affenpfoten, Affenneugier, das Bedürfnis, alles zu zerlegen, das Innere nach außen zu stülpen, zu beschnüffeln, zu betasten, zu vermessen, zu verbessern, zu zerstören, wegzuwerfen, das alles gehört zum Affenhirn – es mag ein fortgeschrittenes Modell sein, trotzdem ist es ein Affenhirn. Crake hatte keine besonders hohe Meinung von der menschlichen Erfindungsgabe, obwohl er selbst so viel davon besaß.

    Vom Dorf her – von dem, was ein Dorf wäre, gäbe es dort Häuser oder Hütten – ertönt Stimmengemurmel. Pünktlich wie immer erscheinen die Männer mit ihren Fackeln und hinter ihnen die Frauen.
    Jedes Mal, wenn die Frauen auftauchen, ist Schneemensch von neuem verblüfft. Sie weisen alle bekannten Farben auf, vom tiefsten Schwarz bis zum weißesten Weiß, sie sind unterschiedlich groß, aber jede von ihnen ist bewundernswert wohlgeformt. Jede hat strahlende Zähne und die glatteste Haut. Keine Fettwülste um die Taille, keine Ausbuchtungen und Dellen, keine Orangenhaut an den Schenkeln. Kein einziges Körperhaar, nichts Buschiges. Sie sehen aus wie retuschierte Fotomodelle oder Reklamefotos für teure Fitnessprogramme.
    Vielleicht ist das der Grund, weshalb diese Frauen in Schneemensch nicht den geringsten Anflug von Begehren wecken. Es waren die Fingerabdrücke der Unvollkommenheit, die ihn einst angerührt haben, die kleinen Webfehler: das asymmetrische Lächeln, die Warze neben dem Nabel, das Muttermal, der blaue Fleck. Das waren die Stellen, nach denen er suchte, auf die er den Mund legte. Wollte er damit Trost spenden, die Wunde küssen, um sie zu heilen? Mit Sex war immer ein Stück Melancholie verbunden. Nach der Wahllosigkeit seiner Jugend hatte er traurige Frauen bevorzugt, zarte und zerbrechliche Wesen, Frauen, die verletzt worden waren und die ihn brauchten. Er liebte es, sie zu trösten, sie erst zärtlich zu streicheln, sie zu beruhigen. Sie ein bisschen glücklich zu machen, wenn auch nur für einen Moment. Auch sich selbst natürlich; darum ging es letztlich. Eine dankbare Frau ist zu vielem bereit.
    Aber diese neuen Frauen sind weder asymmetrisch noch traurig: Sie sind gleichmütig, wie belebte Statuen. Sie lassen ihn kalt.

    Die Frauen bringen seinen wöchentlichen Fisch, »gegrillt«, wie er es ihnen beigebracht hat, und in Blätter gewickelt. Er kann ihn schon riechen, und das Wasser läuft ihm im Mund zusammen. Sie treten auf ihn zu, legen den Fisch vor ihm auf den Boden. Es wird ein Küstenfisch sein, zu dürftig und geschmacklos, als dass seine Spezies begehrt, sein Bestand überfischt und folglich ausgerottet worden wäre, oder auch ein Bewohner des Meeresgrundes, strotzend vor Gift, aber das ist ihm herzlich egal, er würde alles essen.
    »Hier ist dein Fisch, o Schneemensch«, sagt einer der Männer, der Abraham genannt wird. Nach Abraham Lincoln: Crake hat sich einen Spaß daraus gemacht, seine Craker nach herausragenden historischen Gestalten zu benennen. Es wirkte alles ganz harmlos, damals.
    »Dies ist der Fisch, der heute Abend für dich ausgewählt wurde«, sagt die Frau, die ihn gebracht hat; es ist Kaiserin Josephine oder Madame Curie oder Sojourner Truth – sie steht im Schatten, und er erkennt nicht, welche es ist. »Dies ist der Fisch, den Oryx dir schenkt.«
    Oh, gut, denkt Schneemensch. Die Empfehlung des Chefs.
    Jede Woche, entsprechend den Phasen des Mondes – Neumond, erstes Viertel, Vollmond, zweites Viertel – stehen die Frauen

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