Osama (German Edition)
liebsten mag ich die Farbe von Whisky, wenn der Eiswürfel gerade anfängt, im Glas zu schmelzen«, sagte er. »Wenn man das Glas gegen das Licht hält und die Flüssigkeit durch den Boden hindurch betrachtet und sie so ist wie der Himmel unmittelbar nach dem Regen.«
Die junge Frau lachte. »Ich mag die Farbe davon ohne Eis.«
»Wo gibt es hier in der Gegend einen guten Ort für einen Drink?«
»Von meiner Warte aus«, sagte die Frau, »ist überall ein guter Ort für einen Drink.«
Ein warmer, sicherer Ort
In trauter Eintracht saßen sie auf zwei Hockern an dem breiten hölzernen Tresen. Sie befanden sich irgendwo im Viertel Pigalle. Die junge Frau trank ihren Scotch ohne Eis, Joe seinen mit einem einzelnen Eiswürfel. Er fand, dass ihn das von den Trinkern unterschied. Dieser Eiswürfel bedeutete, dass man sich einfach nur einen Drink schmecken ließ. Die Frau hatte, kaum dass sie eingetreten waren, schon zwei Gläser Schnaps hinuntergekippt. Merkwürdigerweise wirkte sie jetzt körperlicher, die Aura von Verschwommenheit löste sich auf: Sie war fest, sehr real und sehr nah. Sie bemerkte seinen Blick und grinste. »Ich muss ständig trinken, damit ich nicht immer weniger werde«, sagte sie und prostete ihm zu. Sie tranken. Mit einer Handbewegung bestellte Joe noch zwei Drinks.
»Ich hab dich hier noch nie gesehen«, sagte die Frau. »Bist du neu?«
Es war eine seltsame Frage, aber er sagte bloß: »Ich bin gerade erst angekommen.« Die Frau nickte und schien zufrieden. »Schwer am Anfang, oder?«, sagte sie. »Was für ein merkwürdiger Ort.«
Wieder betrachtete er sie. Braune Haut, langes, am Ansatz schwarzes Haar. Große Mandelaugen, die ihn seelenvoll anblickten. Die Frau hickste und fing an zu kichern. Joe lächelte. Er fragte sich, woher sie kam. Ihr Französisch war fehlerlos. Algerien? Irgendwo aus Nordafrika, beschloss er.
Die Frau zog ein Softpack Gauloises aus einer verborgenen Tasche und nahm sich eine Zigarette. »Willst du eine?«
»Klar.«
Mit seinem Zippo zündete er beide Zigaretten an. Die Frau zog die Augenbrauen hoch und blies einen Rauchring aus, der über dem Tresen hängen blieb. In dem Bistro war es dunkel und verraucht. Über einem Ende des Tresens drehte sich lethargisch ein Ventilator. Musik gab es keine.
»Wie zu Hause, was?«, sagte die Frau. Er wusste nicht genau, ob sie mit ihm oder mit sich selbst sprach. »Hier zu sitzen ist wie – ich hab mal eine Maus gehabt. Als ich noch klein war. Die hab ich immer in der Tasche mit mir rumgetragen. Manchmal hat sie die Nase rausgestreckt und geschnüffelt, aber meistens ist sie lieber dringeblieben, und ich hab mir immer vorgestellt, wie’s da drin wohl ist, warm und dunkel und sicher. So fühle ich mich hier manchmal. Wenn ich es mir leisten kann.«
»Ein Taschen-Universum«, sagte Joe, worauf die Frau lachte. »Ein Taschen-Universum«, sagte sie. »Das ist lustig.«
Sie saßen, rauchten, tranken, und die Welt war auf einen warmen, sicheren Ort reduziert, und Joe hielt sein Glas hoch und beobachtete, wie die Farbe sich veränderte, während das Eis schmolz, und die Frau lachte wieder. Draußen hätte Mittag sein können oder Mitternacht oder eine beliebige Zeit dazwischen, aber drinnen war die Zeit etwas in sich Geschlossenes, gefangen und still.
Joe wusste nicht, was ihn dazu veranlasste, die Bücher zu erwähnen. Irgendwie steckte Methode dahinter: zuerst nur ein Gefühl, dass die junge Frau Bescheid wusste, dann aber auch eine gewisse Logik, nämlich dass ein Verleger, der sich auf Bücher eines bestimmten Typs spezialisiert hatte, hier in der Gegend um die Place Pigalle, wo ebenfalls eine gewisse Spezialisierung auf diese Art von Fantasie stattfand, bekannt sein könnte. So sagte er: »Hast du mal die Vergelter -Bücher gelesen?«
Die Augen der Frau wurden lebendig. Sie nickte, langsam, bevor sie mit einem Seufzer einen Lungenzug blauen Rauchs ausstieß. »Ja …«, sagte sie.
Mit einer Geste bestellte er zwei weitere Drinks. Die Frau lächelte und strich ihm über den Arm. Joe fühlte sich benommen, eine Rauchwolke hing in der schweren Luft. Er wartete. Während der Ventilator in der Ecke des Bistros vor sich hin schnaufte, sah Joe zu, wie der Rauch über dem Tresen waberte.
»Sie werden hier verlegt, oder?«, sagte er in das Schweigen der jungen Frau hinein. »In Paris.« Ihm wurde bewusst, dass sie ihn musterte. Ihre Augen waren wie leere Brunnen, so tief und dunkel. »Ja …«, sagte die Frau noch einmal. Sie
Weitere Kostenlose Bücher