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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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beneidete sie nicht.
    Offenbar hatte die Besucherin die Pinnwand neben Louises Tür entdeckt, denn sie trat davor und betrachtete die Fotos. Zum ersten Mal, seit sie die Station betreten hatte, hellte ihr Gesicht sich auf. Dann ging sie rasch hinter den anderen her.
    Ich wandte mich wieder meinen Notizen zu. Als etwas an meinem rechten Bein vorbeistrich, blickte ich nach unten. »Hallo, Oscar.«
    Er hob den Kopf.
    »Ich habe gehört, du warst bei Ruth, als sie gestorben ist.«
    Zu meiner Überraschung sprang er auf den Tisch, hockte sich hin und sah mich an, als wollte er mich begrüßen.
    Als ich seinen Blick erwiderte, fing er an zu schnurren.
    »Was ist denn, Oscar?«, fragte ich und streckte ihm nervös die Hand hin. Ob er mir wohl etwas mitteilen wollte?
    Er betrachtete meine Hand und stupste dann mit dem Kopf dagegen. »Kraulen, du Trottel!«, sollte das wohl heißen.
    Ich entspannte mich und kraulte ihn vorsichtig unter dem Kinn. Als ich ihn zu mir heranzog, schnurrte er lauter. So saßen wir eine Weile zusammen da, bis wir unterbrochen wurden.
    »Hallo, Dr.Dosa! Ich würde Ihnen gern die Familie Carey vorstellen.«
    Es war Mimi, die mit den drei Besuchern zurückgekehrt war. Oscar betrachtete sie ungnädig, dann sprang er auf den Boden und flitzte den Flur entlang.
    »Katzen!«, sagte ich und stand auf, um den dreien die Hand zu schütteln.
    Die beiden Schwestern lächelten.
    »Haben Sie noch irgendwelche Fragen, was die Station angeht?«, erkundigte ich mich.
    »Sind die Katzen immer hier?«, fragte eine der Schwestern.
    »Natürlich. Auf dieser Etage wohnen zwei Katzen und im Erdgeschoss vier weitere, dazu ein Kaninchen und mehrere Vögel«, antwortete Mimi an meiner Stelle.
    »Das ist aber nett«, sagte die andere Schwester. Sie hatte vorher Louise und deren Pinnwand betrachtet. Nun wandte sie sich an den alten Herrn.
    »Mom hat Katzen immer gern gemocht, nicht wahr, Dad?«, fuhr sie fort.
    »Sie meinen, Ihre Mutter
mag
Katzen gern«, korrigierte ich.
    Daraufhin warf sie mir einen merkwürdigen Blick zu. Es war ihr wohl ein wenig peinlich, aber ich wusste schon, dass viele Angehörige über Demenzpatienten sprachen, als wären diese bereits tot.
    »Wissen Sie«, sagte ich, um die arme Frau nicht weiter in Verlegenheit zu bringen, »wir haben festgestellt, dass die Anwesenheit von Tieren sehr hilfreich für Patienten in fortgeschrittenen Stadien der Demenz ist. Es wird Ihrer Mutter guttun, dass die Katzen hier sind.«
    »Wirklich?«, fragte die Frau.
    »Ja, am Anfang habe ich das selber nicht geglaubt, aber nun bin ich lange genug hier, um zu wissen, was unsere Katzen für die Patienten und deren Angehörige bedeuten.«
    Die Frau warf mir einen zweifelnden Blick zu, den ich nur zu gut kannte. Wahrscheinlich hatte ich Mary genauso angeschaut, als sie mir das erste Mal von Oscars Fähigkeiten erzählte.
    »Tiere haben wohl etwas an sich, das immer noch zu den Patienten durchdringt«, fuhr ich fort. »Aber ich denke, auch wir können etwas durch sie lernen.«
    Die Frau nickte und drehte sich zu ihrem Vater um. »Na, was meinst du, Dad?«
    »Ich glaube, dies ist der richtige Ort.« Der alte Mann versuchte zu lächeln, was ihn sichtlich Mühe kostete. »Wenn das Bett noch frei ist und Sie bereit sind, sich um meine Frau zu kümmern, nehmen wir es«, sagte er dann, zu Mimi gewandt.
    »Gern«, erwiderte diese und begleitete die drei zur Tür. Dabei erklärte sie bereits die verschiedenen Formulare, die auszufüllen waren.
    Als sich die Tür schloss, sah ich Mary aus der anderen Richtung kommen. Sie schob eine im Rollstuhl sitzende Patientin vor sich her. Nachdem sie das Gefährt neben dem Tisch des Stationszimmers abgestellt hatte, beugte sie sich zu der Patientin hinunter, um sie kurz zu umarmen.
    Strahlend erwiderte die alte Frau die Umarmung.
    »Wer war das denn?«, fragte Mary, während sie sich zu mir setzte.
    »Mimi hat ein paar Leute herumgeführt. Sieht ganz so aus, als wäre Ruths Platz schon wieder vergeben.«
    »Ja, unsere Betten bleiben nie lange leer.«
    Die Nachmittagssonne hatte sich inzwischen zurückgezogen. In der Mitte des Flurs sah ich Oscar aus dem Zimmer kommen, in das er sich vor den Besuchern geflüchtet hatte. Einen Moment lang blieb er stehen und blickte zu uns herüber, dann drehte er sich um und marschierte entschlossen in die andere Richtung. Als er zu dem letzten Zimmer rechts kam, hielt er inne und schien zu schnuppern. Mit einer kurzen Schwanzbewegung verschwand er durch die Tür.

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