Oscar
aufs Bett seiner Mutter, die rasch atmete. Als er aufstand, um zu ihr zu gehen, hob auch Oscar auf dem Fensterbrett den Kopf und beobachtete, wie George die Hand seiner Mutter ergriff und ihr den Puls fühlte. Der schlug erschreckend schnell, fast wie eine pulsierende elektrische Strömung.
Erschrocken drückte George auf die Ruftaste, worauf die Schwester erschien und seine Mutter untersuchte. Dann ging sie einen Moment hinaus, um mit einer Dosis flüssigem Morphin zurückzukehren. Sie träufelte Iris die Lösung in den Mund und legte George dann beruhigend die Hand auf die Schulter. Als das Medikament zu wirken begann, verlangsamten sich die Atemzüge der im Bett liegenden Gestalt. George richtete den Blick auf das Gesicht seiner Mutter und betrachtete deren Züge, als wollte er sie sich einprägen. Er begann zu weinen.
Wenige Augenblicke später tat Iris Duncan ihren letzten Atemzug auf dieser Welt.
»Etwa eine Stunde nachdem meine Mutter gestorben war, kam eine Helferin ins Zimmer«, erzählte George.
Es war spät am Abend, einige Monate nach dem Tod seiner Mutter, und wir sprachen am Telefon miteinander. Wir hatten versucht, uns zu einem persönlichen Gespräch zu treffen, aber George hatte kurzfristig nach Florida fliegen müssen.
»Sie hat mir gesagt, sie wolle meine Mutter waschen. ›Wieso?‹, habe ich gefragt. ›Sie ist doch tot!‹ Da hat die Helferin mich freundlich angeschaut. ›Das stimmt‹, sagte sie, ›aber sauber soll sie trotzdem sein.‹«
Durchs Telefon hindurch hörte ich, wie George schluckte. »Ich muss zugeben, die Antwort hat mich ziemlich verblüfft, deshalb habe ich gefragt, ob es üblich ist, Leichen zu waschen. Da hat sie gesagt, sie hätte meine Mutter einfach sehr gern gehabt, und deshalb wollte sie das tun.«
»Bei uns im Heim gibt es viele Rituale für das Ende des Lebens«, sagte ich. »Zum Beispiel verlassen die Menschen, die bei uns gestorben sind, das Haus immer so, wie sie her-einkamen – durch den Vordereingang. Niemand wird mit dem hinteren Aufzug hinausgeschafft.«
»Ich weiß«, sagte George. »Aber von allem, was ich in Ihrem Heim an Gutem erlebt habe, hat mich eines am meisten beeindruckt. Dazu muss ich ein wenig ausholen. Am Morgen kamen Leute vom Bestattungsinstitut, haben meine Mutter auf eine fahrbare Trage gelegt und mit einem weißen Tuch bedeckt. Übrigens ist Oscar erst dann aus dem Zimmer gehuscht.«
»So hat er sich auch sonst manchmal verhalten«, sagte ich.
»Dann hat man meine Mutter aus dem Zimmer gerollt. Als wir um die Ecke kamen, wo es zu den Aufzügen geht, sah ich, dass fast alle, die gerade auf der Station arbeiteten – Schwestern, Helferinnen und andere Leute vom Personal – aufgereiht im Flur standen, um sich von meiner Mutter zu verabschieden. Einige von ihnen hatten Tränen in den Augen.«
Ich hörte, wie George zu weinen begann.
»Das hat mir richtig den Atem verschlagen«, sagte er mit stockender Stimme. »Denn da habe ich gemerkt, dass diese Menschen irgendwie zu meiner Familie gehören.«
[home]
Eine Katze kann man nicht besitzen.
Bestenfalls kann man ihr Partner sein.
Harry Swanson
22
A uf der zweiten Etage war es ganz still. Alle Patienten lagen ruhig in ihren Zimmern, und die Besucher waren fort. Das einzige Geräusch war das leise Summen der gedämpften Leuchtstoffröhren an der Decke. Da niemand da war, der ihn hätte stören können, schlief Oscar friedlich auf dem Schreibtisch der Schwesternstation, wo er sich niedergelassen hatte wie ein großes, pelziges Plüschtier.
Von draußen kam das Heulen eines Rettungswagens, der jemanden in die Notaufnahme der Klinik nebenan brachte. Als die Sirene lauter wurde, regte Oscar sich und hob forschend den Kopf. Sobald der Rettungswagen sein Ziel erreicht hatte, verstummte die Sirene. Oscar streckte sich und gähnte. Wieder war nur das Summen der Lampen zu hören.
Mary hatte heute die Nachtschicht übernommen. Da keiner der Patienten sich in einer kritischen Lage befand, beschäftigte sie sich mit einer Aufgabe, die einen großen Teil ihrer Zeit in Anspruch nahm: Sie schrieb Notizen in Krankenakten. Oscar beobachtete sie einige Minuten bei der Arbeit, bevor er mit einem Miauen verkündete, dass er wach war und beachtet werden wollte. Lächelnd streckte Mary die Hand aus und kraulte ihn am Kinn. Damit zufrieden, sich bemerkbar gemacht zu haben, zog Oscar sich zurück und wandte sich seinen Hinterpfoten zu, die er sorgsam kreisförmig ableckte.
»Na, kommst du mit?«, fragte
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