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Osiris Ritual

Osiris Ritual

Titel: Osiris Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Mann
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Heimlich betrachtete er
die Schuhe des Reporters, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht doch
geirrt hatte. Purefoy trug elegante Halbschuhe, die gut und gern zwei Nummern
kleiner waren als der Abdruck, den der Mann hinterlassen hatte. Newbury
lächelte. Also war es wirklich Ashford. Nun konnte er ohne jeden Zweifel den
abtrünnigen Agenten mit Blakes Ermordung in Verbindung bringen. Nicht nur das,
er war auch beinahe bereit, Purefoy ganz und gar zu entlasten. Sein Instinkt
sagte ihm, er solle dem jungen Mann trauen, und er beschloss, auf seine
Eingebung zu hören.
    Newbury betrachtete die Dächer in der Nähe. Unzählige Schornsteine
ragten aus dem Dunst empor in das verblassende Licht, spien dunkle, dichte
Rauchwolken aus und bildeten eine abwechslungsreiche Dachlandschaft. Die Szene
am Horizont entsprach dem, was man auch überall sonst in London sah: Industriebauten,
stufenförmig angelegte Häuser, Elendsviertel, große Herrensitze, alle zu einem
eigenartigen Gemisch vereint. Auf einmal bemerkte Newbury ungefähr dreihundert
Schritte entfernt auf einem niedrigen Dach den
Verbrecher. Oder vielmehr, er bemerkte zwei kleine glühende Punkte an der
Stelle, wo Ashfords Augen einst gewesen waren. Der Abtrünnige stand hinter
einem großen Schornsteinaufsatz aus Terrakotta und starrte unverwandt herüber.
Zum größten Teil blieb er im Schatten verborgen.
    Â»Da ist er!«, rief Newbury und zeigte auf
den Agenten.
    Purefoy sah nichts. »Was? Wo?«
    Doch Newbury wartete nicht, sondern stürmte schon zum Rand der
Terrasse, um die Entfernung vom Arbury House zum nächsten Haus dahinter
abzuschätzen. Die Lücke war ungefähr drei Schritte
weit. Anlauf konnte er dort nicht nehmen, vor dem Eisengeländer blieb nur ein
schmaler Absatz frei, von dem aus er springen musste. Unten war es dunkel, dort
wallte der Nebel. Wenn er abrutschte und in die Lücke stürzte, wartete auf dem
unebenen Pflaster zwischen Haufen von Unrat und Fäkalien sicherlich der Tod auf
ihn.
    Er suchte noch einmal die bizarren Augen seines Feindes. Sie
schienen ihn zu durchbohren und ihn sogar weiterzudrängen. Er hatte keine Zeit
zum Nachdenken. Mit einer Hand hielt er sich am Geländer fest, schwang ein Bein
darüber und achtete darauf, sich nicht auf den rostigen Lilien zu pfählen, mit
denen die Stangen verziert waren. Vorsichtig stieg er zum Absatz auf der
anderen Seite hinüber. Dort blieb ihm nicht viel Raum, sich zu bewegen, und
tatsächlich rutschte er mit dem linken Fuß ab und musste sich verzweifelt am Geländer
festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Einige Ziegel bröckelten
und fielen in die graue Dunkelheit hinab. Den Aufschlag hörte er nicht. Das
Herz pochte in seiner Brust, als könnte es gleich zerspringen. Er schwitzte
jetzt auch und verspürte ein heftiges Verlangen nach dem Betäubungsmittel, das
ihm sonst so oft half. Eisern hielt er sich fest und widerstand dem Drang, auf
das relativ sichere Dach zurückzukehren.
    Purefoy rannte herbei und blieb auf der anderen Seite des Geländers
stehen. »Sir Maurice! Sie wollen doch nicht etwa …«
    Newbury hörte nicht auf ihn. Wenn er noch länger über sein Vorhaben
nachdachte, würde er es wahrscheinlich gar nicht mehr tun. Er hielt den Kopf
oben, blickte nicht in den Abgrund vor seinen Füßen und betrachtete das
benachbarte Dach. Dort lief ein kleiner Sims als Zierde am ganzen Dach entlang.
Wenn er den Sprung falsch einschätzte, hatte er wenigstens noch etwas, an dem
er sich festhalten konnte. Er hatte keine Ahnung, wie Ashford die Lücke
überwunden hatte und warum der Mann immer noch im Schatten wartete, nachdem er
offensichtlich bemerkt worden war. Vielleicht rechnete er nicht damit, dass
Newbury tatsächlich springen und die Verfolgung aufnehmen würde. Was auch der
Grund war, das war die bislang beste Möglichkeit, den Verbrecher zur Strecke zu
bringen, und er wollte es tun, ehe noch mehr Menschen starben. Vorausgesetzt
natürlich, er war nicht drauf und dran, sich selbst umzubringen.
    Er duckte sich, um so viel Schwung wie möglich zu holen, und sprang.
Mit ausgebreiteten Armen flog er über die Gasse hinweg und behielt genau die
Stelle im Auge, wo er landen wollte. Beinahe schaffte er es, doch er blieb mit
einem Fuß an der Steinkante hängen und stürzte auf das Dach. Er kam hart auf
und schaffte es gerade noch, die Arme

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