Osiris Ritual
Ãberlegungen, Purefoy. Dies
ist gewiss eine Möglichkeit.« Newbury bückte sich und
legte den Brieföffner neben dem Toten auf den Boden. Dann faltete er das
Taschentuch, das vom Blut und von der Kohle verschmutzt war, ordentlich
zusammen und steckte es in die Hosentasche. Es wäre nicht so gut, wenn er die
Mordwaffe eingewickelt in sein mit Monogramm versehenes Taschentuch am Tatort
zurücklieÃe. Nicht dass er befürchtete, die Polizei könne ihn ernsthaft
verdächtigen, doch er wollte die Beamten auch nicht versehentlich auf eine falsche
Fährte lenken. Er klopfte seine Sachen ab. »Kommen Sie, Purefoy. Hier können
wir nichts mehr tun. Wir müssen die Polizei rufen. Sir Charles und seine Männer
werden im Handumdrehen hier sein.« Damit wandte er
sich ab und verlieà den Raum, Purefoy folgte ihm.
An der Tür drehte Newbury sich noch einmal zu dem Reporter um. »Bevor
wir gehen, will ich einen Blick auf das Dach werfen. Vielleicht hat der Mörder
in seiner Eile Spuren hinterlassen.« Damit schob er
Purefoy aus der Wohnung heraus, zog hinter sich die Tür zu und rüttelte noch
einmal am Griff, um sich zu vergewissern, dass das Schloss eingeschnappt war.
Er wollte vermeiden, dass die Nachbarn unverhofft auf so eine schreckliche
Szene stieÃen.
Am Ende des Flurs stand das Fenster offen, wie Newbury es zuvor
vorgefunden hatte. Kalte Böen wehten herein. In der Ferne vernahm er den
Verkehrslärm â Pferde, Omnibahnen, Kutschen klapperten über die groÃen StraÃen
der Stadt. Newbury schob den Vorhang zur Seite und beugte sich vor, um
abzuschätzen, wie tief das Dach unter ihm lag.
»Hier, halten Sie mal.« Der Agent legte den
Mantel ab und gab ihn dem Reporter. Dann hielt er sich am Fensterrahmen fest,
setzte ein Knie auf die Fensterbank und zog sich hoch, um durch die Ãffnung zu
klettern und auf die Dachterrasse zu springen. Er landete in der Hocke. Als er
sich aufrichtete, folgte Purefoy ihm bereits. Den Mantel hatte er über die
Fensterbank gelegt. Newbury lachte leise. Der junge Mann war unverbesserlich.
Der Mantel war jetzt natürlich verloren, und er würde Charles später erklären
müssen, warum eines seiner Kleidungsstücke am Tatort zurückgeblieben war.
Glücklicherweise kannte Newbury viele Inspektoren bei Scotland Yard, die
ihrerseits genau wussten, wie oft er ihnen in den vergangenen Jahren geholfen
hatte, verschiedene Verbrecher zur Strecke zu bringen. Newbury hinterlieÃ
häufig Spuren an Tatorten, doch die Unfähigkeit vieler Polizisten und Newburys
Ruf führten stets dazu, dass man ihn als über jeden Verdacht erhaben
betrachtete und diese Kleinigkeiten übersah.
Der Abend dämmerte schon, ein leichter Nebel legte sich über die
Dächer. Hinter grauen Wolken lugte der Mond hervor, der schimmernde Kreis hing
niedrig am Himmel wie ein chinesischer Lampion. In der Ferne schwebten
Luftschiffe träge über der Stadt dahin. Während ihm die Kälte zusetzte, sah
Newbury sich um und versuchte, irgendeine Spur des abtrünnigen Agenten zu
entdecken. Die Dachterrasse, die sich in beide Richtungen erstreckte, war
früher sicher einmal groÃartig gewesen, erlaubte sie doch einen wundervollen
Blick auf die Hauptstadt. Sie war jedoch offensichtlich schon lange nicht mehr
benutzt worden. An der Wand standen groÃe Pï¬anzkübel, die Blumen waren jedoch
längst vom Unkraut überwuchert und hatten unter den Abgasen der Dampfmaschinen
gelitten, die unten auf der StraÃe vorbeifuhren. Begrenzt wurde die Terrasse
durch ein kleines Geländer, damit die Besucher nicht zu Tode stürzten. Zwei
alte, stark verrottete Holzstühle standen vergessen in einer Ecke, umgeben von
den Stummeln teurer Zigaretten, die jemand nachlässig aus einem oberen Fenster
geworfen hatte. Sie lagen auch an der Stelle, wo Newbury gerade stand. Es gab
keinerlei Anzeichen dafür, dass die Terrasse jemals von den derzeitigen
Bewohnern des Hauses benutzt worden war.
Tief gebückt untersuchte Newbury den Bereich vor dem Fenster, wo er
gelandet war. Im Staub und im Laub zeichnete sich deutlich ein FuÃabdruck ab.
Ein groÃer Stiefel hatte hier seine Spuren hinterlassen, als jemand von oben
herabgesprungen war.
Newbury winkte Purefoy zu sich und deutete auf den Stiefelabdruck. »Da,
sehen Sie! Der Abdruck ist frisch. Heute Nachmittag ist also wirklich jemand
aus dem Fenster gesprungen.«
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