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Osten, Westen

Osten, Westen

Titel: Osten, Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Yorick heimzusuchen; und noch ein zweites untotes Phantom beschwört das Gift herauf: Ophelia, Yoricks Ehefrau, deren Körper sich mit flatternden Gewändern in durchsichtiger, ektoplasmischer Pracht um den des Königs windet.
    Was aber war nun das prinzliche Gift?
    Lösen Sie nur selbst dieses Rätsel, lieber Leser, dann werden
Sie’s wissen ... Aber, was soll’s, ich werde es für Sie lösen. Es war das WORT!
    O du tödlichstes aller Gifte! Da es substanzlos, wenn auch schlangengleich ist, gibt es kein Gegengift. Deutlicher ausgedrückt, überzeugt Hamlet den Hofnarren seines Vaters davon, dass Horwendillus und Ophelia, dass Dame Yorick und der König ... o nein, ich kann die grässliche Bezeichnung dessen, was getan worden sein soll, nicht aussprechen, da doch in Wahrheit nichts getan wurde. Und vermutlich (hier ist das Pergament verwischt, entweder von uralten Tränen oder einer anderen salzigen Flüssigkeit) hat der grausame Knabe «Beweise» vorgelegt: ein Paar goldene Nasenstöpsel, in ein gefälschtes billet doux eingewickelt? Oder war es ein Taschentuch? Spielt keine Rolle. Der Schaden ist angerichtet, und Yorick ist nun ein vielfacher Narr: Immer schon ein Narr von Beruf, wurde er nun zum doppelten Toren, weil er der Gimpel des Prinzen war sowie (in seinen eigenen Augen, denn so, wie er es sieht, muss er in den Augen des Liebespaares ein Narr sein) auch noch ein Esel und wegen der Hörner des Hahnreis zwischen seinen Ohren ein offensichtlich überaus närrischer Esel.
    Am merkwürdigsten aber ist – und hier liegt der finstere Kern der ganzen Affäre –, dass er, indem er sich tatsächlich zum Narren machen ließ, die Privilegien des professionellen Narren opferte. Ein Hofnarr war eine ganz besondere Art von Spaßmacher, denn sein Narrenkleid gestattete ihm, Weisheiten von sich zu geben und die Menschen darüber lachen zu lassen; die Wahrheit zu sagen und dennoch den Kopf nicht zu verlieren, weil er dazu seine Narrenschellen ertönen ließ. Jawohl, Hofnarren waren weise, so weise wie Uhren, denn sie wussten, was die Stunde geschlagen hatte. Auf einmal jedoch ging mit diesem uhrenweisen Yorick eine vollkommene Veränderung vor. Vom Prinzen zum Narren gehalten, beginnt
er auf einmal den Narren zu spielen – nach allen Regeln der Kunst zu spielen, das heißt, zu brüllen, zu toben, in allem Ernst den eifersüchtigen Ehegatten zu mimen.
    Was Hamlet natürlich beabsichtigt hatte: den Narren in eine tödliche Narrheit zu treiben. Ich sagte ja, dass er in dem Hofnarren einen zweiten, clownesken Vater sah: Und dieser Ersatzvater wird nun durch vergiftete Worte auf seinen königlichen Herrn losgelassen.
    Und nun der Rest: Horwendillus schläft allein in seinem Gethsemane. Auftritt Yorick mit dem Saft verfluchten Bilsenkrauts in einer Phiole. Das Gift, das Hamlet dem Narren ins Ohr träufelte, hat sich, jedenfalls könnte man es so auslegen, in dieses Fläschchen ergossen und wandert nunmehr aus dem Fläschchen in des Königs Ohr. Horwendillus ist also tot, während Ophelia, von Yorick zur Rede gestellt und verstoßen, den Verstand verliert und umnachtet im Palast umherirrt, bis sie vor Kummer stirbt. Und dieser Wahnsinn liefert Claudius den Hinweis, worauf dieser das Verbrechen umgehend aufdeckt, und ab, auf den Richtblock mit unserem Yorick, und das wär’s dann.
    Hier jedoch gibt es ein Geheimnis, war eine unbekannte Hand am Werk. Denn irgendjemand, den ich nicht nennen kann, holt sich den abgeschlagenen Kopf, und es gelingt ihm, mit allen erforderlichen Bestechungsgeldern und Einflüsterungen, ihn dort begraben zu lassen, wo der Prinz viele Jahre später mit seiner knochig grinsenden Schuld konfrontiert wird. Und so macht ein gesichtsloser Witzbold, einer, der den witzigen Kopf des Hofnarren liebte, aus seinem abgeschlagenen Kappes eine überaus kapitale (wenn auch unvorhergesehene) Belustigung.
    Tamti-tam, tamti-tam und tamti-tamti-tam ... Lieber Leser, die Zeit treibt dahin, und jeder von uns vertreibt sich die Zeit auf seine ganz persönliche Art und Weise, entweder mit Fingertrommeln
oder mit Schlafen oder mit Liebeswerben oder mit dem Verzehr ganzer Kränze von Würsten oder wie immer er eben will; ich für meinen Teil summe, und daher tam tam tamti-tam. (Wenn Ihnen die Weise missfällt, verschwinden Sie und vertreiben Sie sich Ihre Zeit anderswo! Die Freiheit ist ein Spaniel, der, wenn er nicht trainiert wird, schwächlich und schwabbelig wird, also trainieren Sie das Tier, Sir, das ist der

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