Osten, Westen
Wunderbaren sind in unserem nietzscheanischen, relativistischen Universum begrenzt. Behavioristische Philosophen und Quantenphysiker drängen sich um die Zauberschuhe. Sie machen sich unentzifferbare Notizen.
Exilanten, Vertriebene jeder Couleur, selbst Obdachlose haben sich eingefunden, um einen Blick auf das Unmögliche zu werfen. Sie sind aus ihren unterirdischen Löchern hervorgekrochen und haben den Bazookas getrotzt, den mit Uzis bewaffneten Gangs, von Crack, Smack oder Ice himmelhigh, diesen Schmugglern, diesen Plünderern. Die Tramps tragen stinkende Jute-Ponchos und spucken geräuschvoll in die riesigen Yuccakübel. Sie angeln sich ganze Fäuste voll Kanapees von Tabletts, die auf den exquisiten Handflächen erstklassiger Partylieferanten ruhen. Sushi verschlingen sie mit beeindruckenden Mengen von wasabi- Sauce, gegen deren scharfes Brennen so ein Landstreichermagen immun zu sein scheint. Man ruft SWAT-Teams, und nach einer kurzen Auseinandersetzung, bei der Gummigeschosse und Betäubungspfeile eine
Rolle spielen, werden die Tramps vertrieben, bewusstlos geschlagen und abtransportiert. Man deponiert sie in einiger Entfernung von der Stadtgrenze, in jenem rauchenden Niemandsland, das von gigantischen Reklametafeln eingerahmt ist und in das sich keiner von uns mehr hinauswagt. Wilde Hunde werden sie, nach einem guten Bissen gierend, anfallen. Die Zeiten sind hart.
Auch politische Flüchtlinge sind zur Auktion gekommen: Verschwörer, entthronte Monarchen, besiegte Parteiseilschaften, Dichter, Bandenanführer. Diese Herrschaften tragen jetzt nicht mehr die schwarzen Barette, die dickglasigen Nickelbrillen und weiten Capes vergangener Zeiten, sondern prunken mit voluminösen Seidenjacketts und hochtaillierten Designerpantalons japanischer Herkunft. Die Damen bevorzugen kurze, mit den Strassnachbildungen großer Kunstwerke bestickte Torerojäckchen. Eine dieser Salonlöwinnen trägt «Guernica» auf dem Rücken, während mehrere andere glitzernde Szenen aus den «Desastres de la guerra» von Francisco Goya zur Schau stellen. So strahlend sie in ihren trajes de luces auch aussehen mögen – gegen die roten Schuhe können die weiblichen politischen Flüchtlinge nicht ankommen; mit ihren männlichen Kollegen drängen sie sich zu kleinen, zischelnden Gruppen zusammen, während sie immer wieder Verwünschungen, Tintengeschosse, speichelgetränkte Papierkügelchen und Papierflieger quer durch den Saal auf rivalisierende Gruppen von émigrés abfeuern. Die Wachen an den Ausgängen knallen gelangweilt mit ihren Lederpeitschen. Die Politiker halten sich zurück.
Wir verehren die roten Schuhe, weil wir glauben, dass sie uns vor Hexen beschützen (und heutzutage werden wir von
unheimlich vielen Zauberern und Hexen verfolgt); weil sie die Macht haben, Metamorphosen rückgängig zu machen; weil sie einen verlorenen Zustand der Normalität wiederherstellen, an den zu glauben wir nahezu aufgehört haben und den wiederzuerlangen uns die Schuhe verheißen; und weil sie glitzern wie das Schuhwerk der Götter.
Missbilligende Kritik an dieser Fetischisierung der Schuhe kommt vonseiten religiöser Fundamentalisten, denen aufgrund des extremen Liberalismus einiger Auktionatoren Eintritt gewährt wurde. Diese Versteigerer erklären, ein zivilisierter Auktionssaal müsse wie eine großzügige Kirche sein: offen für alle und tolerant. Die Fundamentalisten haben eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie am Erwerb des magischen Schuhwerks nur interessiert seien, um es anschließend zu verbrennen, und das ist nach Ansicht der liberalen Auktionatoren keineswegs ein verwerfliches Vorhaben. Denn was nützt Toleranz, wenn die Intoleranten nicht auch toleriert werden? «Geld verlangt Demokratie», behaupten die liberalen Auktionatoren. «Jedes Menschen Geld ist so gut wie das des anderen.» Die Fundamentalisten geifern von improvisierten Rednerpodien aus speziellem, geweihtem Holz herab. Man ignoriert sie, ein paar ältere Anwesende sprechen jedoch unheildräuend von den Anfängen, denen man wehren soll.
Waisen treffen ein, weil sie hoffen, die roten Schuhe würden sie sowohl in der Zeit als auch im Raum zurücktransportieren (denn wie unsere Gleichungen beweisen, sind alle Raummaschinen auch Zeitmaschinen); sie hoffen also, durch die berühmten Schuhe mit ihren verstorbenen Eltern wieder vereint zu werden.
Männer und Frauen zweifelhaften Charakters sind zu sehen:
Unberührbare, Ausgestoßene. Mit vielen von ihnen
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