Osten, Westen
Nur neun Leben garantieren, dass wenigstens eins übrig bleibt. Und deswegen muss unsere Katze, die einen König ansieht, neun Leben haben.
Oph. Gut ausgedacht, mein Gatte!
Ham. Und nun ein Tanz! Vergiss dein Narrenamt und lass uns eine fröhliche Gigue tanzen!
Yor. Während Ihr mir auf dem Rücken hockt?
Ham. Aber ja; um mir auszudenken, was ich anschließend möchte.
Yor. (beiseite, während er tanzt) Prinz Hamlet, Ihr könnt keine Wünsche mehr haben, aber Yorick findet, dass Ihr zu wünschen übriglasst.
All das gesprochen mit Filigranstöpseln sowohl in den prinzlichen wie auch in den närrischen Nasenlöchern! Der weinende Säugling in der Wiege beschwert sich nicht weniger über seinen verstopften Rüssel als über das Geräusch von Hamlets Peitsche, die durch die Luft pfeift und saust, um sein tanzendes, zweibeiniges Reittier anzuspornen. – Was soll man von einem so rasenden Prinzen halten? Fest steht, dass er Ophelia hasste. Aber weswegen? Wegen ihrer pestilenzartigen Ausdünstungen? Ihrer Gewalt über den Narren, der jede einzelne Wimper an ihr anbetete? Oder waren es die schwellenden Knospen unter ihrem Hemd, ihr Körper, über den er nicht befehligen konnte? Mit seinen sieben Jahren findet Prinz Amlethus an dieser jungen Frau irgendetwas beunruhigend,
vermag es aber nicht zu benennen. Also verwandelt sich kindlicher Eifer in Hass.
Möglicherweise alle drei Gründe zusammen: ihr Gestank; und die Tatsache, dass sie Yoricks Herz gestohlen hat, denn wie jeder Narr weiß, gehört das Herz eines Narren seinem Prinzen (wer anders als ein Narr würde sein Herz einem Prinzen schenken?); und, o ja, natürlich, auch ihre Schönheit. Wir brauchen uns wirklich nicht zu entscheiden. Seien wir doch unersättlich in unserem Verständnis: Schlucken wir diese Dreieinheit einfach ganz!
Wir wollen Hamlet nicht allzu hart verurteilen. Er war ein einsamer Knabe, der in Yorick einen Vater wie auch einen Diener sah, genauer: den perfekten Vater, denn jeder Sohn macht seinen Vater zum Sklaven. In Yorick, dem singenden, witzelnden, tanzenden Narren, sieht der bleiche Prinz den gezähmten Horwendillus. Er war ein Muttersöhnchen.
An dieser Stelle beginnt das Pergament – ich sollte sagen, die Tinte auf demselben oder, exakter ausgedrückt, die Hand, welche die Feder hielt (aber die Faust ist lange tot, und von Dahingeschiedenen soll man nicht schlecht sprechen) –, oh, **********!, sagen wir einfach, an dieser Stelle wird der Text weitschweifig und zählt bis in grausige Einzelheiten alle Untaten des Prinzen gegen den Hofnarren auf: jeden Abdruck des königlichen Stiefels auf seinem Hinterteil, mitsamt eingehender Aufzählung von Ursache, Wirkung, Örtlichkeit, Kleidung, zufallsbedingten Umständen (Regen, Sonne, Donner, Hagel und andere Naturgewalten oder etwa die Abwesenheit von Hamlets Mutter, zurückzuführen auf die Tyrannei der natürlichen Funktionen, der sogar Königinnen unterworfen sind), Schilderungen, wie oft der Hofnarr auf den Hosenboden fiel, des Erdklumpens, mit dem seine Nase zusammenstieß, der darauffolgenden Suche nach den verlorengegangenen Nasenpfropfen
– mit einem Wort, ein äußerst beklagenswerter Mangel an Kürze, den ich hier unverzüglich beheben werde. Das Argument ist ohnehin schlüssig, finde ich. Es noch weiter auszuführen hieße, es dem Prinzen gleichzutun, der Yorick mit Stöcken, Peitschen und Gott weiß was noch bearbeitete, und es wäre (da wir selbst kein Prinz sind) unbesonnen, unseren verehrten Leser zu behandeln, als wäre er ein Narr. (Apropos«kein Prinz sind»: Wieso benutze ich dieses aufdringliche«wir», diesen Pluralis Majestatis, der sich in meine Sätze geschlichen hat? Weg mit ihm! Zurück zu dem normalen – dem unnormalen, da zyklopischen – Singular-Ich!)
Eine einzige Episode genügt: Während er auf Yorick ritt, trennte er mit seiner Gerte den fleischigen Vorhang der Wangen des Narren, sodass die knochige Bühne dahinter zum Vorschein kam. Wie es scheint, war er ein sensibler Prinz: Denn während er oben auf den Schultern saß, hob sich bei diesem blutigen Anblick sein Magen. Und, lieber Leser, als er zum ersten Mal einen Schädel sah, erbrach sich der Prinz von Dänemark ausgiebig auf Yoricks klingelnde Narrenkappe.
Bis jetzt habe ich mich bemüht, eine einfühlsame Geschichte privater Natur zu erzählen, mit vielen behutsamen psychologischen Andeutungen und umfangreichen materiellen Details; nun aber vermag ich die große Welt nicht mehr aus
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