Osteopathie: Sanftes Heilen mit den Händen
innere Narbe vergessen. Die zahlreichen Bindegewebsschichten und Faszien, die durchtrennt werden mussten, um das zu operierende Organ überhaupt zu erreichen, bleiben unberücksichtigt und werden nicht in jedem Fall wieder zusammengenäht. Für den Osteopathen sind aber auch diese Verletzungen und die daraus entstehenden Narben von großer Bedeutung.
WISSEN
Der umfassende Begriff der Narbe
Unabhängig von Form und Ort bewirken Narben meistens das Gleiche: Bewegungseinschränkung. Daher weitet die Osteopathie zu Recht den Begriff der Narbe auf alle Gewebsveränderungen aus, die am Ende eines Heilungsprozesses stehen und eine Bewegungseinschränkung zur Folge haben. Wohlgemerkt: Auch ein Schulmediziner wird solche Gewebsveränderungen als Narben bezeichnen, doch solange sie nicht als eindeutige Ursache von Beschwerden ausgemacht werden, finden sie schlicht und einfach keine Beachtung.
Wenn Entzündungen zu Narben führen
Bei einer Entzündung bildet der Körper Eiweiß in Form von Eiter, der die betroffene Stelle verklebt und damit schützt.
Ein typisches Beispiel für eine weitere Form der Narbenbildung sind Verklebungen als Folge von Entzündungen. Letztere stellen Abwehrreaktionen des Organismus auf Fremdkörper, meist Bakterien, dar. Dringt der Fremdkörper an einer Stelle in den Organismus ein, reagiert der Körper, um eine Ausbreitung zu verhindern. Er versucht, den Eindringling unschädlich zu machen und den Schaden zu minimieren. Während des Entzündungsprozesses bildet sich an der betroffenen Stelle Eiweiß in Form von so genanntem Exsudat, Infiltrat oder Eiter. Eiweiß verfestigt sich, es wird fibrös (faserig) und klebt gut. Zwar wird es während der Heilung vom Körper meist wieder abgebaut, doch bleibt an der betroffenen Stelle eine Narbe zurück, ähnlich einem Blatt Papier, von dem man einen Tropfen Klebstoff nach Aushärtung wieder entfernen will.
Durch Eiweißbrücken verkleben auch Strukturen, die für ein einwandfreies Funktionieren frei beweglich sein müssten.
Wenn die Entzündung unterschiedliche Strukturen betrifft, können so genannte Eiweißbrücken entstehen. Die angrenzenden Strukturen werden dann durch das klebende Eiweiß miteinander verbunden. Ihre ursprüngliche Beweglichkeit wird eingeschränkt. In bestimmten Fällen kann dies sogar von Vorteil sein, wenn beispielsweise lockere Bänder nach einer Verletzung narbig verheilen und so eine zusätzliche Stabilität erhalten. In der Regel verkleben jedoch Strukturen, die für eine »reibungslose« Funktion frei beweglich sein müssten. Das viszerale Gelenk (siehe S.41) ist dann an der betroffenen Stelle eingeschränkt. Seine Bewegungsachsen sind verändert – unter Umständen so sehr, dass sie ihre Funktion gar nicht mehr erfüllen können.
Ein Osteopath kann Verklebungen mit seinen Händen aufspüren, indem er die Bewegungseinschränkungen Papier (ertastet). Mit seinen manuellen Techniken kann er diese Verklebungen meist auch lösen, was manchmal sogar mit einem »Plop« hörbar wird und dem Patienten eventuell füreinen Moment Schmerzen bereitet. Oft müssen diese Techniken mehrfach wiederholt oder über einen längeren Zeitraum angewendet werden.
Vernarbungen an Faszien
Der Osteopath kann die Vernarbung selbst nicht rückgängig machen, wohl aber die Spannung der Faszie lösen.
Einwirkende Kräfte, etwa die von Unfällen, können ihren Abdruck in der Faszie hinterlassen. Die Faszie muss dabei keineswegs einreißen. Trotzdem kommt es zu einer Verletzung, die ausheilt und eine Veränderung der Faserstruktur bewirkt. Die Faszie verdichtet sich an der betroffenen Stelle, sie vernarbt regelrecht. Dabei verhält sie sich ähnlich wie Hemd oder Bluse, die man an einer Stelle ein wenig zusammenzwirbelt. Es bilden sich Falten, Spannungszüge, die geradewegs auf die betroffene Stelle zulaufen. Ein Osteopath kann die verdichtete Stelle palpieren, wenn diese groß genug ist. Er kann sich aber auch entlang den Faszienspannungen direkt hinführen lassen, so wie wir den Falten im Hemd oder der Bluse folgen können. Die Vernarbung selbst wird er nicht rückgängig machen können. Sie bleibt bestehen wie ein Stoffflicken, aber die Spannung der Faszie lässt sich meist lösen.
An welchen Stellen Narben entstehen können
Entzündungsbedingte Verklebungen des Dickdarms können auch Beschwerden im Becken und an der Wirbelsäule auslösen.
Narben im Sinne von Gewebsveränderungen im Gefolge eines Heilungsprozesses können überall am und im Körper
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