Ostfriesengrab
sie sie nicht einfach zusammengeschlagen?«
Ann Kathrin stülpte die Lippen nach vorn und versuchte, durch die Nase einzuatmen. Sie hatte von den brutalen Methoden der sogenannten Moskau-Inkassostellen gehört. Es waren Schlägertypen. Aber das hier?
»Wir können nicht ignorieren, dass sie bedroht wurde und
Anzeige erstattet hat. Ich denke, als Erstes knöpfen wir uns jetzt diesen Herrn Meuling aus Duisburg vor.«
Weller wollte schon zum Telefon, um die Kollegen in Duisburg anzurufen, aber er deutete Ann Kathrins Blick richtig. Das wollte sie nicht.
»Wir werden nicht den gleichen Fehler noch einmal machen und uns hier zerfasern.«
Weller ließ das Telefon und zog die Akten von Ann Kathrins Schreibtisch zu sich herüber. »Die Kollegen in Duisburg waren doch bestimmt schon bei Herrn Meuling und haben ihn vernommen. Nachdem es keinen Sidorov in Berlin gab, mussten sie ihm das doch zuschreiben. Es kann ja eigentlich nur so sein, dass er den Brief selbst geschrieben hat. Auf jeden Fall – wenn einer den Aufenthaltsort von Sidorov kennt, dann doch er.«
»Tja«, sagte Ann Kathrin, »siehst du, und dieser Schritt ist nicht erfolgt.«
»Jetzt verstehe ich auch, warum Schrader so irritiert war. Wenn uns da einer draufkommt, dann stehen wir da wie die letzten … «
Ann Kathrin unterbrach Weller: »Es ist noch viel schlimmer. Blätter mal weiter hinten. Frau Henning hat sich einen Anwalt genommen. Ich kenne ihn übrigens. Herrn Hinrichs. Er hat dreimal Akteneinsicht verlangt und äußert sich in den Briefen an die Staatsanwaltschaft sehr verwundert darüber, warum sie nicht weiter tätig wird. Er bittet, die Sorgen seiner Klientin ernst zu nehmen.«
Ann Kathrin stand jetzt hinter Weller und blätterte für ihn in den vor ihm liegenden Akten. Bei einem gelben Papier mit dem Briefkopf Kirsch & Hinrichs und dem blauen Stempel darauf:
Abschrift
, blieb sie hängen.
»Wir haben im Auftrag unserer Mandantin zwischenzeitlich noch einmal versucht, in Erfahrung zu bringen, ob nun eine Vernehmung von Herrn Meuling erfolgt ist, wie wir sie angeregt
haben. Es würde unsere Mandantin schon sehr interessieren, ob die Justiz sich der von ihr als sehr bedrohlich empfundenen Situation mit der notwendigen Ernsthaftigkeit widmet oder ob die von ihr erstattete Strafanzeige letztlich nicht ernst genommen wurde/wird. Wir bitten nunmehr höflich entweder um Fortsetzung der Ermittlung oder um eine kurze Nachricht, welche Maßnahmen zwischenzeitlich ergriffen worden sind. Unsere Mandantin hat dem aufgebauten Druck inzwischen nachgegeben und einen Scheck an Herrn Meuling geschickt, den dieser auch eingelöst hat. Sie tat dies ohne Anerkennung irgendeines Rechtsgrunds, nur, um Gefahr für Leib und Leben für sich selbst abzuwenden.«
»Scheiße«, sagte Weller und klappte die Akte zu. »Wir sitzen bis zum Hals drin, Ann.«
Sie sah ihn an und kämpfte mit dem Niesreiz. »Und jetzt?«
»Jetzt machen wir erst mal Feierabend. Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Wir können es nicht mehr rausholen. Zumindest nicht lebendig.«
Ann Kathrin sah Weller an, was er dachte. So schrecklich er alles fand, etwas an der ganzen Sache freute ihn: Staatsanwalt Scherer hatte diese Schlappe zu verantworten.
Zwischen Scherer und Weller gab es seit vielen Jahren einen schwelenden Konflikt. Niemand konnte mehr genau sagen, wie es angefangen hatte. Vielleicht war es Scherers oft unangemessen belehrende Art, die Weller so sehr gegen ihn aufbrachte. Damit erinnerte Scherer ihn an seinen Vater, und unter dessen engstirniger Erziehung hatte Weller viel zu lange gelitten. In Wellers Akten stand sogar, dass er ein Autoritätsproblem hatte.
Ann Kathrin und Weller wollten gerade das Büro verlassen, als ein Besucher für sie gemeldet wurde. Markus Sassen, der Lebensgefährte von Mareike Henning, hatte sich unten an der Pforte gemeldet und wollte den ermittelnden Kommissar sprechen.
Weller hatte keine Lust. Er drängte Ann Kathrin, das Gespräch auf später zu verschieben. »Alles hat seine Zeit. Es gibt eine Zeit, die heißt Arbeitszeit, und eine Zeit, die heißt Freizeit. Sie unterscheiden sich grundlegend voneinander.« Dann trumpfte er sogar mit Weisheiten auf wie: »In der Ruhe liegt die Kraft.«
Ann Kathrin versprach ihm, nur kurz mit Markus Sassen zu reden.
In der Backstube in Norden war heute Pizzatag. Es gab die große Pizza zum Preis einer kleinen. Die Pizzen schmeckten dort wirklich gut, die Altbierbowle auch, und Weller liebte die Atmosphäre in
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