Ostfriesengrab
nicht hängen.«
Eine Stunde später saßen Ann Kathrin, Weller, Rupert, Ubbo Heide, Staatsanwalt Scherer, Schrader, Reuters und Abel im Besprechungszimmer. Irgendjemand hatte eine Dose mit altem Gebäck auf den Tisch gestellt. Es staubte beim Reinbeißen, wurde beim Kauen immer mehr und klebte im Hals. Aber jeder griff zu, die meisten sogar mehrfach. Sitzungen wie diese brachten Menschen dazu, irgendetwas in sich hineinzuschlingen, Hauptsache,
sie konnten auf etwas herumbeißen und es runterschlucken. Kaum einer merkte, dass das Gebäck schon an Weihnachten das Haltbarkeitsdatum überschritten hatte.
Staatsanwalt Scherer saß angespannt, aber schweigsam dabei. Er kritzelte mit seinem Kugelschreiber Strichmännchen auf den vor ihm liegenden Notizblock und ließ sie hinter immer dichter werdenden Gitterstäbchen verschwinden, bis nur noch ein viereckiges blaues Kästchen zu sehen war. Ann Kathrin beobachtete ihn dabei. Als er das bemerkte, kam er sich ertappt vor, denn man musste nicht Psychologie studiert haben, um zu ahnen, was seine Strichmännchen bedeuteten: Er wollte jemanden für immer hinter Gittern verschwinden lassen, und zwar so schnell wie möglich.
Rupert glaubte, dass Peschke seine Serie fortsetzte, und schlug vor, ihn im Hotel Fährhaus hoppzunehmen. Rupert war aufgekratzt, wollte nicht länger herumsitzen, sondern endlich handeln und redete davon, dass er sich vorkäme wie ein Einäugiger unter lauter Blinden.
Ann Kathrin widersprach ihm. »Wir haben es nicht mit dem gleichen Täter zu tun.«
»Na, hör mal!«, funkte Rupert dazwischen. »Er hat sie am ganzen Körper rasiert. Hat wieder irgendwas mit ihren Haaren angestellt. Wir finden sie völlig nackt, aber ihre Kleider und ihr Ausweis liegen mit in der Mülltonne.«
Aber Ann Kathrin beharrte darauf: »Er hätte so etwas nicht getan.«
»Warum nicht?«, wollte Ubbo Heide wissen.
»Das ist nicht sein Stil. Er stellt seine Opfer zur Schau. Er versteckt sie nicht in einer Mülltonne. Er wählt Orte, die allgemeines Aufsehen erregen, Orte, die schön sind. An denen viele Menschen vorbeikommen … Er wirft auch nicht einfach die Kleider weg. Er verpackt sie schön.«
»Was soll das heißen, das ist nicht sein Stil?«, regte Rupert
sich auf. »Worüber reden wir hier überhaupt? Über einen Tanzstil? Einen Fechtstil? Einen Stil kann man ändern. Vielleicht ist es ihm langweilig geworden. Vielleicht wird er ab jetzt die Mülltonnen vollstopfen. Was weiß ich, was in diesem kranken Gehirn vorgeht. Jedenfalls hat er einen Komplizen. Diesen Omonsky. Ich habe von Anfang an nicht geglaubt, dass er allein handelt. Sie haben es gerade erst gemacht. Ich wette, die Spuren sind noch frisch. Wir sollten nicht zögern. Je schneller wir die beiden verhaften, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, sie zu überführen.«
Rupert bat um einen Haftbefehl für Peschke und Omonsky. Aber Scherer lehnte es ab, einen Haftbefehl beim Richter zu beantragen. Er wollte jetzt keine Fehler mehr machen. Alles, was er Rupert zugestand, war eine vorsichtige Überwachung.
Ubbo Heide protestierte: »Eine Überwachung? Was heißt das? Sollen wir wieder eine neue SOKO einsetzen?«
Der Gedanke gefiel Ubbo Heide überhaupt nicht. Er mochte es nicht, so viele Leute um sich herum zu haben. Klar, mit seinem kleinen Team war er kaum in der Lage, so einen Fall zu bewältigen. Aber je mehr Leute kamen, umso schwieriger wurde es auch, wichtige von unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Befehlsstrukturen funktionierten plötzlich nicht mehr, und die ewige Rivalität zwischen den ortsansässigen Kräften und den Fremden von außerhalb machte ihm das Leben auch nicht leichter. Er hasste das Geschwätz von Profilern und anderen Fachleuten. Am liebsten hätte er jeden Fall mit seiner eigenen Truppe gelöst, und das jeweils täglich während der normalen tariflichen Dienstzeit.
Rupert bekam für seine Überwachung drei Leute. PK Schrader meldete sich freiwillig.
Ubbo Heide massierte sich die Schläfen und unterdrückte ein Gähnen. Um die Situation ein bisschen zu beruhigen, gab er Ann Kathrin erst mal ein kleines Bonbon: »Du hattest recht.«
»Womit?«
»Das Paket ist inzwischen gefunden worden. Es war auf der Frisia V. Er hatte es zwischen ein paar Getränkekisten abgelegt. Ihre Kleidung war drin und ihr Führerschein.«
»Und alles ordentlich gewaschen und gebügelt.«
»Natürlich. Einen Hinweis gibt es allerdings doch darauf, dass wir es weiterhin mit dem Friseur zu tun
Weitere Kostenlose Bücher