Ostfriesengrab
haben, Ann Kathrin«, sagte Ubbo Heide sachlich. »Wir haben zwar noch keinen Obduktionsbericht, aber so viel steht fest: er hat Christina Diebold Blut abgezapft. Mindestens zwei Liter.«
Ann Kathrin sah auf die Uhr. »Wann ist sie gefunden worden?« Sie wartete die Antwort erst gar nicht ab. »Seit wann haben wir so schnell Berichte vom Pathologen?«
Ubbo Heide legte die Finger auf die Tischplatte und spannte seine Muskeln an. »Das war in dem Fall nicht nötig.«
»Warum nicht? Habt ihr einfach gesehen, dass sie so blass ist, und den Rest über den Daumen gepeilt?«, zischte Ann Kathrin gereizt.
»Nein. Das abgezapfte Blut lag als Konserve mit in der Mülltonne.«
Dieser Satz schockierte alle. Ann Kathrin brauchte sofort ein Glas Wasser. Rupert wollte diese miesen Schweine keine Minute länger frei herumlaufen lassen. Weller hatte die Bilder im Henri-Nannen-Museum vergessen. Er erinnerte sich nicht mehr daran, dass er gerade guten Sex gehabt hatte. Ihm war nur noch schlecht.
Abel sagte mit schmalen Lippen: »So was findet man nicht alle Tage. Der Kerl schafft es immer wieder, uns zu verblüffen. Vielleicht geht es nur darum … uns zu schockieren. Ich habe schon in Lütetsburg große Lust gekriegt, meinen Job an den Nagel zu hängen.«
»Warum hat er das mit dem Blut gemacht?«, fragte Rupert. »Ich versteh’s nicht.«
»Na, ich sag’s doch – um uns zu schockieren«, wiederholte sich Abel.
»Nein«, sagte Ann Kathrin, »das ist nicht so. Ich weiß nicht, was er mit dem Blut anstellt. Aber ihres konnte er nicht gebrauchen. Genauso wenig, wie er sie gebrauchen konnte. Etwas stimmt nicht mit ihr. Deshalb hat er sie im Mülleimer entsorgt.«
»Du meinst, sie war ihm als Opfer nicht gut genug?«
»Vielleicht passte sie nicht in die Inszenierung. Ich habe keine Ahnung, was in seinem Gehirn vorgeht. Aber dies ist nicht sein normales Schema.«
»Du glaubst also auch, dass der Friseur noch frei herumläuft?«, fragte Weller leichenblass.
»Wir können nicht leugnen, was geschehen ist, Frank«, antwortete Ann Kathrin.
»Aber das würde ja bedeuten … «, Weller schluckte, » … dass ich den falschen Mann erschossen habe.«
Niemand sprach jetzt ein einziges Wort. Alle sahen betreten vor sich hin. Nicht mal Rupert machte eine blöde Bemerkung.
»Mir wird schlecht«, sagte Weller.
»Musst du kotzen?«, fragte Reuters.
»Nein«, sagte Weller, »aber mir ist schwindlig. Ich glaube, ich muss mich … «
Er sackte an der Wand zusammen. Ann Kathrin war sofort bei ihm. Er war weiß wie der Rauputz, an den er sich lehnte.
»Einen Arzt!«, rief Ubbo Heide. »Wir brauchen sofort einen Arzt! Das kann ein Herzinfarkt sein.«
Aber da stand Weller schon wieder, noch etwas wacklig auf den Beinen, und winkte ab: »Nein, nein, ist schon wieder alles okay. Bitte, keinen Arzt. Ich bin voll einsatzfähig.«
Er ging zur Toilette und klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Ann Kathrin ging einfach hinter ihm her, ebenfalls zur Männertoilette, legte eine Hand zwischen seine Schulterblätter und fragte ihn: »Frank, kann ich irgendetwas für dich tun?«
»Ja. Lass uns den richtigen Mörder finden. Lass uns das hier zu Ende bringen, und dann machen wir unsere Fischbude auf. In Norddeich.«
Gunnar Peschke und Matthias Omonsky fuhren mit dem schwarzen Lieferwagen zu einer Kinderliedermacherin, die im gleichen Viertel wohnte wie Ann Kathrin Klaasen. Sie saßen mit ihr auf der Terrasse, lachten, scherzten und schmiedeten Pläne. Heiko Reuters zoomte sie heran und knipste sie mit seinem Teleobjektiv aus sicherer Entfernung. Sollte sie das nächste Opfer der beiden werden?
Rupert stellte sich vor, die schöne junge Frau aus den Fängen dieser Monster zu retten. Wie würde er dastehen … Der Kripobeamte, der gegen den Widerstand seiner Vorgesetzten und obwohl er krankgeschrieben war, richtig kombiniert und das Leben des nächsten Opfers gerettet hatte.
Er wusste nicht, wie lange er inzwischen auf den Beinen war. Er kaute Kaffeebohnen, um wach zu bleiben. Er hatte diesen Trick von einem alten Kollegen: »Alle Viertelstunde eine Kaffeebohne ganz fein zerkauen und dann das Pulver langsam im Mund zergehen lassen. So kann man auch nach achtundvierzig Stunden noch aufmerksam bleiben … «
Rupert hatte ein halbes Pfund Kaffeebohnen, eine Mischung aus Brasilien und Ecuador, in der Tasche. Er nahm allerdings nicht alle Viertelstunde eine, sondern schaufelte sich jeweils eine ganze Handvoll in den Mund. Das war gar nicht gut
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