Ostfriesengrab
als ein Erfolgserlebnis. Sie mussten dieses Schwein fassen und sich dann die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wie sie ihr weiteres Leben gestalten wollten.
»Im Grunde«, sagte sie, »ist die entscheidende Frage doch – Frank, hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja, natürlich.«
Sie setzte noch einmal an. »Also, im Grunde ist die entscheidende Frage doch, was macht er mit dem Blut? Und warum war das von Christina Diebold nicht brauchbar?«
»Ja«, sagte Weller, »er stellt irgendetwas damit an. Vielleicht trinkt er es.«
Ann Kathrin schüttelte sich. »Nein, wir haben es sicherlich nicht mit einem Vampir zu tun. Er beißt sie nicht. Er zapft ihnen das Blut ab. Das alles hat etwas Steriles an sich, findest du nicht? Etwas von Krankenhaus. Als würde er versuchen, alles zu versachlichen.«
Weller kratzte sich am Knie. »Ja. Er macht aus den Frauen Objekte.«
Gern hätte Weller Ann Kathrin von seiner Zeit in Münster erzählt. Es war ihm lieber, als über den Fall zu sprechen. Er kannte die Stadt recht gut, nicht nur die Käfige am Lambertiturm. Hier bei Pinkus Müller hatte er das beste Altbier seines Lebens
getrunken. Ann Kathrin, die so gerne in der Backstube oder im Mittelhaus Altbierbowle trank, würde es lieben.
»Ich hab in Münster eine glückliche Zeit verbracht«, sagte er, und es klang wie der erste Erfahrungsbericht eines Astronauten über die Schwerelosigkeit.
»Vielleicht können wir nach dem Besuch noch zu Pinkus Müller, einen westfälischen Kochschinken essen, und die brauen das Altbier selber … Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir ohne Reservierung was kriegen.«
Ann Kathrin warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Dachte der jetzt echt über Kneipenbesuche nach?
»Vor der Blechtrommel hab ich Renate kennengelernt. Da drin gab es eine Jazz-Session. Aber wir haben keinen Platz mehr bekommen und sind dann ins Blaue Haus gegangen. Das ist nicht weit von Pinkus Müller. Ich wollte mit dieser tollen Frau natürlich nicht da hin, wo mich alle … « Er schluckte den Rest hinunter und geriet ins Schwärmen. »Bei Kerzenlicht haben wir zusammen gegessen, und es war irgendwie sofort klar, dass wir … « Er räusperte sich. »Na ja, vielleicht ist es doch nicht so eine gute Idee, mit dir dahin zu gehen.«
Ann Kathrin beschloss, nicht beleidigt zu sein und völlig unzickig zu reagieren, obwohl sie bei seinen Worten einen merkwürdigen Stich verspürte. Sie lachte ein bisschen verkrampft: »Du kannst mir ruhig von den schönen Sachen erzählen, die du mit Renate erlebt hast. Den Rest krieg ich ja sowieso live mit. Zwischen Hero und mir war auch nicht immer diese Eiseskälte. Hero hat auch dort ein paar Semester studiert. Ich kenne all diese Erzählungen vom Kneipenleben in der Altstadt. Zweimal haben wir sogar ein Münster-Wochenende gemacht. Ja, damals waren wir jung verliebt und haben uns solche Inseln von Freizeit organisiert, nur für die Liebe und für sonst gar nichts.«
»Vielleicht sollten wir das auch tun«, sagte Weller, und es klang ein bisschen zerknirscht.
Das Haus eines Professors hatte Weller sich anders vorgestellt. Irgendwie wohlhabender. Prächtiger. Als er den Flur betrat, wurde ihm bewusst, dass er noch nie in der Wohnung eines Professors gewesen war. Was er hier sah, konnte man mit zwei ganz normalen Gehältern finanzieren.
Herr und Frau Diebold wussten bereits Bescheid. Jemand hatte sie angerufen und über den gewaltsamen Tod ihrer Tochter informiert.
Ann Kathrin fragte sich, welcher Idiot so unsensibel war, so eine Meldung per Telefon zu machen. Sie wollte den Namen wissen, aber Frau Diebold, die das Gespräch entgegengenommen hatte, konnte sich nicht mehr daran erinnern.
In ihren Augen blitzte die Hoffnung auf, die Information könnte falsch gewesen sein und die beiden seien nun gekommen, um ihnen die Wahrheit zu sagen.
Professor Diebold wirkte gefasst, als sei das alles gar nicht wirklich geschehen. Ann Kathrin kannte solche Reaktionen von Angehörigen. Der Schock kam manchmal erst Tage später.
Sie gingen hinter Professor Diebold die Treppe hoch, vorbei an der Galerie seiner Bilder. Sein Namenszug, groß und schwungvoll, stand in jeder rechten Ecke. Die Bilder waren so aufgehängt worden, dass sein Namenszug jeweils in Augenhöhe des Betrachters lag. Selbst wenn man beim Treppensteigen kaum etwas vom Bild zur Kenntnis nahm, seinen Namen musste jeder sehen. Das war keine Zufälligkeit, sondern eine bewusste Inszenierung. Jedes Gemälde hatte eine eigene Lampe,
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