Ostfriesengrab
kühler Wind, und Weller bildete sich ein, dass er den fernen Haschischduft aus den Coffeeshops in Holland mitbrachte.
Er kam sich raffiniert dabei vor, als er Ann Kathrins Fahrrad nahm, um ihr zu folgen. Doch schon auf der Höhe der Norder Post tat es ihm leid. Er brauchte viel zu lang. Vermutlich war sie schon längst da.
Vor dem Restaurant Minna am Markt hielt er an. Drinnen saßen noch Gäste und es roch nach gebratenem Deichlamm. Weller sah zu den Taxen hinüber und fragte sich, ob es nicht klüger wäre, mit einem Taxi nach Lütetsburg zu fahren. Aber dann entschied er sich, lieber fester in die Pedale zu treten.
Noch bevor er am Norder Bahnhof nach links abbog, spürte er jede zu viel gerauchte Zigarette, und er schwor sich, morgen damit aufzuhören. Vielleicht sollte er auch einfach mehr trainieren und weniger Pizzen essen.
Er beneidete seinen alten Schulfreund Heiner Zimmermann. Der war durchtrainiert. Drahtig. Heiner wäre vermutlich schon bei ihr, dachte Weller.
Er setzte sich nicht mehr auf den Sattel. Er stand jetzt, um die Pedale mit mehr Kraft treten zu können.
Gegenüber vom Schloss gab es hinter Bäumen und Sträuchern einen unbewachten Parkplatz. Dort hatte Ann Kathrin Klaasen ganz hinten im dunklen Dreieck bei den Büschen ihren grünen Twingo versteckt. Als Weller das registrierte, fragte er sich sofort, warum. Rechnete sie etwa damit, verfolgt zu werden? Glaubte sie, den Täter dort zu treffen? Oder war es nur eine ihrer üblichen Vorsichtsmaßnahmen?
Weller ließ das Fahrrad nicht auf diesem Parkplatz, sondern radelte über die Straße bis zum Schloss und lehnte es dort ans
Tor. Er schlich sich aufs Gelände wie ein Einbrecher und war sich sicher, dass Ann Kathrin es genauso gemacht hatte.
Der Park sah jetzt im Mondlicht ganz anders aus. Die Blüten hatten sich geschlossen. Wie spitze Lanzen ragten einige nach oben, andere ließen die Köpfe hängen. Die Pflanzen igelten sich irgendwie ein, fand Weller.
Er blieb still im Schatten einer großen Buche stehen und beobachtete das Gelände. Da drüben war die Leiche gefunden worden. Aber wo war Ann? Ging sie hier einfach spazieren? Er konnte sich das nicht vorstellen. Sie war nah am Tatort. Garantiert.
Der Wind spielte mit den Blättern, und irgendwo bellte ein Hund. Er verließ den Weg und ging durchs Gras, um weniger Geräusche zu machen. Die Wiese war feucht, und schon nach wenigen Metern merkte Weller, dass er seine Schuhe dringend neu besohlen lassen musste. Grimmig dachte er daran, wie lange er sich schon keine neue Kleidung mehr gekauft hatte. Er brauchte ein paar neue Schuhe, ein Jackett, ein paar Hemden. Bestimmt machte es Ann Kathrin keinen Spaß, sich ständig mit einem Lebenspartner zu zeigen, der aussah, als würde er sich auf dem Flohmarkt einkleiden.
Er versuchte, die Gedanken an seine Scheidung und die damit verbundenen katastrophalen finanziellen Folgen zu verdrängen. Die nassen Socken in seinen Schuhen machten ihm das nicht leicht.
Plötzlich fragte er sich, ob Zimmermann seine Frau damals nur gemalt oder auch vernascht hatte. Renate wäre sicherlich nicht abgeneigt gewesen. Und sei es nur, um ihm eins auszuwischen.
Er stellte fast belustigt fest, dass der Gedanke ihm nichts mehr ausmachte. Früher war er manchmal eifersüchtig bis zum Horizont gewesen. Renate wusste das und nutzte seine Schwäche bewusst aus, um ihn leiden zu sehen.
Er atmete tief durch und fühlte sich auf eine beschwingte Art frei. Endlich frei von Renate.
Dann sah er Ann Kathrin, und sofort begriff er, dass sie es ihm nie verzeihen würde, wenn herauskam, dass er sie hier bespitzelt hatte. Das hier war für sie ein äußerst intimer Akt.
Sie saß bewegungslos im Schneidersitz im Gras, als würde sie meditieren. Sie war leicht mit einem Baumstumpf zu verwechseln oder einem Felsbrocken. Ihr Gesicht war den Rhododendronbüschen zugewandt, in denen Mareike Henning aufgespießt worden war. Sie hockte da, tat nichts, atmete nur, und Weller fühlte, dass sie versuchte, eins zu werden mit dem Tatort.
Eine endlose Viertelstunde verging. Weller fror und kämpfte gegen seine Lust auf eine Zigarette an. Egal wie weit er von Ann Kathrin entfernt war – sie würde es riechen. Dieser Schlosspark hatte, gerade jetzt im Dunkeln, einen betörenden Duft, als würde in der Küche der Natur ein ihm unbekanntes Gericht angerührt. Es erinnerte ihn an indischen Yogitee, in den jemand Weihnachtsgebäck stippte. Er konnte den Geschmack auf der Zunge spüren, aber das
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