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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Ganze war salzig.
    Weller machte sich ganz klein, denn was er dann sah, konnte er nicht glauben und er schwor sich, es nie, niemals irgendjemandem zu erzählen. Ann Kathrin zog sich aus und ging dann völlig nackt in aufrechter Haltung zum Wassergraben, der dem Tatort gegenüberlag. Dort legte sie sich am Hang ins Gras.
    Weller konnte nicht genau sehen, was sie dort machte, dazu war er zu weit weg, und der Winkel, in dem sie sich befand, war für ihn nicht einsehbar. Auf allen vieren robbte er im Schutz der Sträucher näher.
    Was tun wir hier, dachte er. Was tun wir hier? Das kann man keinem normalen Menschen mehr erklären.
    Auf dem Gehweg saßen zwei Kaninchen und sahen ihm zu. Meine Klamotten sind jedenfalls versaut, dachte er.
    Er lag jetzt flach auf dem Boden und schob sich vorwärts
wie ein Soldat, der unter Stacheldraht herrobben muss. Dann sah er Ann Kathrin, wie sie sich im Mondlicht so hinlegte, wie sie die Leiche gefunden hatten. Elfenhaft, wie auf dem Sprung. Sogar ihre Haare verteilte sie um sich herum wie einen Heiligenschein. Dabei war ihr Blick auf den Baum gerichtet, aus dem sie das Paket mit Mareike Hennings Kleidung geholt hatten, und ohne den Kopf zu wenden, konnte sie auch die Stelle in den Rhododendren sehen, in der die Stahlspieße gesteckt hatten.
    Mein Gott, dachte Weller, warum tut sie das?
    Komischerweise hatte ihre Handlung aber gar nichts Irres für ihn an sich. Im Gegenteil. Etwas daran erschien ihm wie ein logisches Ritual. Vielleicht bleiben deswegen so viele Fälle ungelöst, weil wir uns nicht wirklich hineinversetzen in Opfer und Täter, dachte er.
    Sie blieb eine ganze Weile so liegen. Immer wieder rückte sie sich ein wenig zurecht. Sie suchte dabei nicht eine bequemere Lage, sondern nur noch mehr Ähnlichkeit mit der aufgefundenen Leiche.
    Weller hätte noch Stunden so liegen und ihr zusehen können. Es kam ihm vor, als sei er ihr noch nie so nahe gewesen – auch nicht beim Sex. Das hier war etwas anderes, viel intimer als Geschlechtsverkehr, viel grundsätzlicher.
    Aus Angst, doch noch von ihr entdeckt zu werden, trat er den Rückzug an. Er hatte noch den Weg von Lütetsburg bis in den Norden von Norden vor sich. Er war dreckig und matschig und er hoffte, dass jetzt nicht Kollegen Streife fuhren und ihn so sahen.
    Weller hatte Glück. Er bog im Kreisverkehr rechts ab und nahm den Weg an der Ubbo-Emmius-Klinik entlang. Dann, in der Höhe vom AWO -Wohnheim, nah beim Friedhof, sah er einen Radfahrer. Er sah diesem Fernsehredakteur, Gunnar Peschke, von der Statur her sehr ähnlich. Aber der Mann trug eine
Kappe auf dem Kopf, und Weller konnte bei den Lichtverhältnissen sein Gesicht nicht erkennen.
    Weller betrat das Haus im Distelkamp Nummer 13 durch die Garage. Dort zog er schon seine Schuhe aus, um keine Dreckspuren zu hinterlassen. Er stopfte seine schmutzige Wäsche in die Waschmaschine, dann stieg er unter die Dusche und schließlich fönte er sich noch die Haare trocken. Er stellte sich vor, wie sie immer noch da lag, wie die Leiche, auf Entdeckung wartend.
    Weller ging in das Zimmer, in dem ihr Exmann, der Therapeut Hero Klaasen, früher seine Klientinnen behandelt hatte. Jetzt hingen hier die Bilder von dem Banküberfall an den Wänden, bei dem Ann Kathrins Vater erschossen worden war. Alles war minutiös dokumentiert. Sie suchte immer noch den Mörder ihres Vaters. Aber von dem gab es keine Spuren. Irgendwo genoss er seine Beute, und das ließ Ann Kathrin keine Ruhe.
    Weller fragte sich, was passieren würde, wenn sie dem Mörder ihres Vaters irgendwann gegenüberstünde. Würde das ihr Leben verändern? Wäre sie dann nicht mehr so eine Getriebene? Würde sie überhaupt noch mit ihm zusammenbleiben wollen? Hatte sie dann ihr Lebensziel erreicht? Oder konnte sie endlich, frei von den Dämonen der Vergangenheit, glücklich werden?
    Er hörte ein Geräusch im Haus und zuckte zusammen. Er wollte nicht, dass Ann Kathrin ihn in diesem Zimmer sah. Mehr als alle anderen Räume im Haus gehörte dieser hier nur ihr. Es war eine Art Tempel für ihren Vater und gleichzeitig ein Museum für ein unaufgeklärtes Verbrechen.
    Unausgesprochen galt zwischen ihnen die Regel, dass er dieses Zimmer nicht betrat, zumindest nicht ohne ihre ausdrückliche Einladung oder Erlaubnis. Ab und an zog sie sich hierhin zurück. Wenn sie später aus dem Raum zurückkam, wirkte sie anders als sonst. Ernster. In sich gekehrt. Manchmal auch ein bisschen verheult.
    Weller schloss die Tür sorgfältig

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