Ostfriesengrab
Bluse an und einen dazu passenden Rock.
»Jetzt sieht sie ein bisschen aus, als ob sie von einer Beerdigung käme«, wandte Weller ein.
Zimmermann fragte: »Sind ihre Beine wirklich so schön wie auf dem Bild, oder soll ich sie ein bisschen dicker machen?«
»Nein, nein, sie sind sehr gut so.«
Weller räusperte sich. »Hast du das Bild irgendwem gezeigt? Gibt es Kopien?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Hast du es dem Typen da gezeigt, den du gerade gemalt hast? Dem Dicken?«
»Hey, sind wir alte Kumpels oder nicht?«
Weller mochte Zimmermann, aber er traute ihm zu, ein paar solcher Zeichnungen verkauft zu haben. Schließlich lebte er von seiner Kunst.
»Ich verlass mich drauf. Ich kann sichergehen, dass nicht irgendwelche Bilder von ihr kursieren?«
»Ich bescheiß doch keinen Kumpel!«
Dann kamen die beiden gut gelaunt von der Toilette zurück. Ann Kathrin hatte die Zeit genutzt und die überflüssigen SMS auf ihrem Handy gelöscht. Zimmermann setzte sich zu ihnen, und Weller bestellte gleich noch einen trockenen Rotwein für ihn.
Er zeigte Ann Kathrin das Porträt und sie gefiel sich darauf. Während sie mit Weller und Zimmermann redete, zeichnete Zimmermann sie erneut. Diesmal zusammen mit Weller. Es war, als würden ihre Köpfe an den Haaren miteinander verschmelzen. Auf dem Bild sahen die zwei aus wie siamesische Zwillinge, am Kopf zusammengewachsen. Oder wie eine Person mit zwei Gesichtern.
Weller und Zimmermann erzählten von ihrer gemeinsamen Schulzeit und wie sehr Weller seinen Freund Heiner immer beneidet hatte.
»Für ihn«, schwärmte Weller, »war immer klar, dass er Künstler werden wollte. Ein freies Leben wollte er führen, während auf mich ein ordentlicher Job wartete.«
»Was meinst du, wie oft ich dich um deine dreizehn Monatsgehälter beneidet habe?«, lachte Heiner Zimmermann.
»Er ist zur Kunsthochschule gegangen, und ich … na ja, was aus mir wurde, wissen wir ja alle.«
Später, auf dem Heimweg, gingen Ann Kathrin und Weller Arm in Arm. Bei der Berufsschule blieben sie stehen und küssten sich.
»Warum hast du mich von ihm malen lassen?«, fragte Ann Kathrin.
»Weil du so eine wunderschöne Frau bist«, sagte er.
Es tat ihr gut, aber sie spürte, dass noch mehr dahinter war.
»Warum wusste ich nichts davon? Du hättest uns vorstellen können. Er hätte mich so porträtieren können. Warum hast du ihm ein Foto von mir gegeben?«
»Ich weiß doch, was für ein Frauenaufreißer der ist. Meinst
du, ich lass meine Geliebte mit dem alleine? Das wäre ja, als würde ich ein Schaf zu den Wölfen treiben.«
Sie boxte ihn spielerisch in die Rippen. Er lachte. »Ach, ist doch wahr! Wenn man eine tolle Frau wie dich erst einmal an seiner Seite hat, dann fürchtet man doch Tag und Nacht, dass irgend so ein Verführertyp kommt und sie einem wegnimmt.«
»Keine Angst, ich steh nicht auf so schmale Handtücher.« Sie kniff ihn in den Bauchansatz. »Ich finde, ein Mann sollte ruhig was auf den Rippen haben.«
Dann beeilten sie sich, nach Hause zu kommen. Sie wollten Liebe miteinander machen.
Schon im Flur zogen sie sich gegenseitig aus, und als sie endlich nackt war, stellte Weller fest, dass er sie in Natur viel schöner fand als auf dem Aktporträt. Und die Vorhöfe ihrer Brustwarzen waren noch größer als sein alter Schulfreund Zimmermann sie gemalt hatte. Aber das sagte Weller ihr nicht. Er grinste nur, und sie wusste nicht, warum.
Er spürte genau, dass sie aufstand. Doch er stellte sich schlafend. Er ahnte, was sie vorhatte, und fand den Gedanken gruselig. Er wusste, dass sie ihn niemals mitnehmen würde. Sie wollte allein sein am Tatort. Wollte riechen, spüren, alles auf sich wirken lassen.
Aber das war kein Tatort wie jeder andere. Er nahm sich vor, hinter ihr herzufahren. Er wusste, dass sie ihn dafür hassen würde. Sie durfte es niemals herausbekommen.
Er konnte ihr nicht einfach folgen, dazu war sie viel zu clever. Aber das war auch nicht nötig. Er wusste doch genau, wo sie hinwollte: In den Schlosspark nach Lütetsburg.
Nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte, blieb er noch eine Minute liegen und rang mit sich, ob er ihr wirklich folgen sollte. Dann zog er sich an und steckte seine Dienstwaffe ein. Im Gegensatz zu ihr würde er sich im dunklen Park ohne
Taschenlampe fortbewegen müssen. Zum Glück war es eine klare Vollmondnacht und die Sterne funkelten am Himmel, als sei einer Göttin ein kostbares Diadem zerrissen.
Von Westen her kam ein
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