Ostfriesengrab
Toten den Körper rasiert und die Nägel lackiert hat. Nach ihrem Tod gab es Wichtigeres zu tun.«
»Aber versuch mal, einer Lebenden die Haare von den Beinen zu rasieren, wenn sie sich wehrt … «, warf Weller ein.
»Eben. Sie hätte Verletzungen. Er wollte auf keinen Fall, dass sie sich sichtbar verletzt. Ihr Körper sollte in aller Schönheit erhalten bleiben.«
»Na hör mal, er hat ihr zwölf Lanzen in den Rücken gesteckt!«
»Ja. Aber alle nicht von vorne sichtbar. Es geht um den schönen Schein, verstehst du?«
»Das würde bedeuten … «
»Ja, genau. Sie hat sich selbst so vorbereitet. Oder zumindest dabei mitgeholfen, ohne sich zu wehren.«
Weller nahm Ann Kathrin in den Arm. Zwischen ihnen das
Kinderbuch
Anna im Land Verkehrtherum
. Er wusste, dass sie recht hatte.
»Was macht so einer jetzt?«, fragte Weller. »Fährt er zum Tatort zurück, um das alles nochmal zu genießen, oder geilt er sich an unserem Erschrecken auf? Kann er es gar nicht abwarten, bis die ersten Zeitungen erscheinen, die darüber berichten? Guckt er jetzt die ganze Nacht Nachrichten? Ist er der Erste am Zeitungsstand?«
»Ich wette«, sagte Ann Kathrin, »er hat Fotos gemacht. Er schwelgt jetzt in Erinnerungen. Und gleichzeitig weidet er sich an unserer Ratlosigkeit.«
Dann schwiegen sie eine Weile und standen immer noch so umarmt da. Keiner wollte den anderen loslassen. Bis Weller schließlich einen Krampf im Rücken bekam, wofür er sich schämte. Aber er musste es sagen. Er konnte nicht länger so stehen.
Sie bot ihm eine Rückenmassage an. Doch mit dem Blick auf die Uhr – inzwischen war es Viertel nach vier – entschieden sie sich, einfach ins Bett zu gehen und sich aneinanderzukuscheln.
Der Wecker klingelte um halb sieben.
Um 7 . 47 Uhr gab es einen durchgehenden Intercity von Norden nach Duisburg, der laut Fahrplan schon knapp vier Stunden später dort sein sollte. Weller schlug vor, erst nachmittags zu fahren. Ubbo Heide hatte eine Dienstbesprechung angesetzt. Doch Ann Kathrin winkte ab: »Ich habe keine Lust, mich da schlachten zu lassen. Wir haben schon genug Zeit verloren. Ich will diesen Meuling sehen.«
»Wieso lassen wir ihn nicht einfach verhaften und vorführen?«, fragte Weller missmutig und tapste barfuß in die Küche, um einen Kaffee aufzubrühen. »Immerhin hat er versucht, Mareike Henning in seinem VW -Bus zu entführen.«
Im Erdgeschoss standen jetzt alle Türen offen. Sie benutzten praktisch alle Zimmer gleichzeitig, unterhielten sich, während sie von Raum zu Raum wanderten. Ann Kathrin putzte sich die Zähne und erschien mit der Zahnbürste in der Hand und den Mund voll weißem Schaum in der Küche.
»Wir haben dafür leider überhaupt keine Beweise, Frank.«
»Willst du Eier?«, fragte er.
Sie nickte.
»Rühr oder Spiegel?«
»Zwei Spiegeleier.«
Er schlug die Eier am Pfannenrand auf, dabei fielen ein paar Stückchen von der Schale mit in die Pfanne. Er versuchte, sie mit der Gabel herauszufischen, was ihm nicht gelang. Als Ann Kathrin wieder im Badezimmer verschwand, um sich den Mund auszuspülen, pickte Weller die Schalenreste mit den Fingern aus der Pfanne. Seine Fingerkuppen brannten jetzt ein wenig. Er drehte den Wasserhahn auf und hielt die Finger unter den kalten Strahl.
Hinter ihm erschien wieder Ann Kathrin in der Küche. Er hörte an dem Geräusch, dass sie sich die Haare bürstete. Er drehte sich nicht zu ihr um und fragte: »Du glaubst also, sie hat ihm geholfen?«
»Ja, auf eine gewisse Weise schon. Vielleicht wusste sie nicht, was er mit ihr vorhatte … «
Weller sah nach den Eiern. Das Fett spritzte aus der Pfanne. Er wollte die Ränder knusprig haben, das Weiße hart und den Dotter wie einen gelben Berg obendrauf ganz weich.
Er drückte Tomatenmark auf Schwarzbrot und verteilte es dick.
»Sie war nicht der Typ, der sich für einen Mann auszieht, sich den ganzen Körper rasiert, die Finger- und Fußnägel in bestimmten Farben lackiert und … «
»Sie hat es aber getan, Frank.«
»Glaub ich nicht, so wie die lebte. Mit Freund und Vater in einem Haus. Es sah so piccobello aus da drin. Das kam doch alles aus der Abteilung Spießerglück.«
Die Eier waren schon so weit, aber Weller brauchte noch ein paar Sekunden, um eine Tomate in Scheiben zu schneiden und das Brot damit zu belegen.
Dann versuchte er, die Eier aus der Pfanne zu heben, aber was so elegant gedacht war, funktionierte nicht. Ein Ei rutschte ab, klatschte in die Pfanne zurück, und das ganze
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