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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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dachte sie, dann kommt er aus der Sache nicht mehr raus. Es ist unmöglich, dass er dort keine Spuren hinterlassen hat. Dort werden Haare von ihr sein, Hautpartikel, Farbspritzer, Blut …
    Polizisten verteilten Handzettel. Sie gingen von Tür zur Tür. Irgendjemand musste etwas gesehen oder gehört haben …
     
    Die letzten sechs Wochen waren für Ann Kathrin eine einzige Katastrophe gewesen. Sie träumte schon davon, Wellers Kinder
zu erwürgen und im Watt zu vergraben. Dann kam die Flut und spülte sie wieder an Land, und es waren nicht nur zwei Leichen, sondern drei: Jule, Sabrina und ihr Sohn Eike.
    Sie schämte sich für den Traum und erzählte ihn Weller nicht. Aber der Alltag zerrte auch an seinen Nerven. Seine Exfrau holte die Kinder keineswegs wie abgesprochen nach vierzehn Tagen wieder ab. Sie hatte sich auf Mallorca eine Infektion zugezogen, verbrachte mehrere Tage im Krankenhaus, war flugunfähig und verlangte von Weller, er solle Geld schicken. Seine Kinder riefen – auf Ann Kathrins Kosten – zweimal am Tag ihre Mutter auf Mallorca an. Ann Kathrin kam sich zunehmend vor wie ein Hausmädchen, das vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung stehen musste, aber natürlich ohne jede Bezahlung.
    Es gab nur einen wirklich entspannten Nachmittag für alle, als sie in der Norder Volkshochschule auf Anregung von Weller an einem Malkurs bei seinem Freund Heiner Zimmermann teilnahmen. Die Mädchen kannten Zimmermann und waren sofort begeistert von seiner Idee, man brauche eigentlich keinen Pinsel, man könne auch mit den Händen malen oder mit dem ganzen Körper.
    Ein dicker, pausbäckiger und stiernackiger Mann war auch dabei und stieß beim Malen geradezu Lustschreie aus. Ann Kathrin erkannte in ihm sofort den Mann, den Heiner Zimmermann im Biergarten der Backstube porträtiert hatte. Er war offensichtlich inzwischen Fan von Heiner Zimmermann geworden. Wenn er sich Ölfarben in die Hände drückte und mit den Fingern auf der Leinwand verteilte, sah er aus, als würde er den Körper einer Frau berühren. Ann Kathrin fand sein Gestöhne dabei als unangemessen, so als würde er jeden Moment einen Orgasmus erleben, später dann grinste sie darüber. Sie sah, wie Sabrina und Jule sich darüber amüsierten und kicherten.
    Vielleicht, dachte Ann Kathrin, ist Kunst doch nur eine Ersatzbefriedigung.
    Zimmermann sagte Olaf zu ihm, siezte ihn aber, und Weller fand, dass dieser Mann auch genau wie ein Olaf aussah.
    Die Teilnehmer duzten sich alle untereinander. Als Ann Kathrin sich bückte, weil ihr ein Pinsel heruntergefallen war, fand sie, dass Olaf ihr ein bisschen zu lange auf den Hintern guckte. Überhaupt hatte sie das Gefühl, er würde sie mit Blicken ausziehen. Auch alles, was er auf die Leinwand schmierte, hatte Kurven. Für einen Moment befürchtete Ann Kathrin, er würde sie malen, und sie entschloss sich sofort, ihm dann mit ihren Ölfarbfingern eine Ohrfeige zu geben. Aber für so ein Bild reichte sein Talent nicht. Ob er da Autobahnen über das gespannte Leinentuch schlängelte oder ob das Ann Kathrins Hüften sein sollten, blieb ganz der Phantasie des Betrachters überlassen.
    Während Ann Kathrin versuchte, mit feinen Pinselstrichen Weller zu porträtieren, wobei aber nur ein hässliches Gesicht von einem bärtigen Mann herauskam, suhlten sich die Kinder ohne jede Rücksicht auf die Kleider in Farbe, drückten mit ihren Fingern Farblandschaften auf die Leinwand, spachtelten mit den Handkanten Wolken an den Himmel und ließen zuckende blaue Blitze über verbogene Leiber tanzen.
    Für Ann Kathrin war das nur ein wildes Herumgepansche und -gematsche, aber Zimmermann fand es wundervoll, interpretierte die Bilder lautstark als Ausbruch von Lebensfreude und Energie und nannte die Explosion der Farben eine Huldigung an das Leben selbst. In jeder dahingewischten Farbstraße erkannte er ein Gesicht, eine Körperform, machte es mit seinen Worten zu einem Bestandteil einer Gesamtkomposition, und schließlich begann auch Ann Kathrin, mehr zu sehen als nur die Farben. Was wie zufällig hingeschmiert aussah, bekam eine geradezu poetische Kraft.
    »So«, sagte Heiner Zimmermann, »stelle ich mir vor, sieht es in unseren Blutgefäßen aus, wenn das Herz auch in die feinsten Kapillaren unseres Körpers frischen Sauerstoff pumpt. Welch
gewaltiges Kraftwerk muss unser Herz sein«, freute er sich. »Es braucht den Verstand nicht, es arbeitet auch so. Es gehorcht keinem Befehl. Du kannst aufhören zu atmen, wenn du willst.

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