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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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sondern für alle Gewalttaten gegen Menschen.
    Weller respektierte ihren Rückzug in diesen Kraftraum. Immer wenn sie herauskam, war sie stärker, auf eine merkwürdige Art geerdeter, fand er. Und er wusste, sie würde keinen Mann lieben können, der das nicht respektierte.
    Eins der Mädchen – oder wahrscheinlich beide, waren in diesen Raum eingedrungen, hatten ihn entweiht. Sie hatten ihm mit schwarzem Filzstift ein Hitlerbärtchen unter die Nase gemalt. Jeder, der ihren Vater kannte, wusste, wie idiotisch das war. Er, der alte Gewerkschaftler, der sich der linken Sozialdemokratie zugehörig fühlte und zeit seines Lebens daran gelitten hatte, zusehen zu müssen, wie alte sozialdemokratische Positionen zugunsten von kaltem Neoliberalismus aufgegeben wurden.
    Warum, dachte Ann Kathrin, haben sie das getan? Sie stand starr, konnte sich nicht bewegen. Sie fühlte sich weder in der
Lage, das Bild von der Wand zu nehmen und zu säubern, noch, es einfach wegzuwerfen. Sie spürte nur diese fassungslose Wut.
    Zum Glück war sein Jugendporträt hinter Glas. Einerseits wollte sie jetzt alles so lassen, um es Weller später zu zeigen. Andererseits konnte sie es ihrem Vater nicht länger antun, wie er mit diesem Hitlerbärtchen beleidigt wurde. Sie wollte ins Badezimmer laufen, den Glasreiniger holen und das Bärtchen abwischen.
    Die Kommissarin in ihr sagte ein klares Nein dazu. Es war wie eine Beseitigung von Spuren und Beweismitteln. Vielleicht war es ja nicht Jule gewesen, sondern Sabrina. Ihr traute Ann Kathrin diese Unverschämtheit eher zu. Sie überlegte, ob es klug sei, Fingerabdrücke zu nehmen, um eine klare Beweisführung aufzubauen. Oder sollte sie alles wegwischen und so tun, als sei nichts geschehen? Es würde Weller verletzen zu sehen, was seine Kinder ihr antaten. Das haben sie gemacht, dachte Ann Kathrin, um einen Keil zwischen uns zu treiben. Natürlich. Sie wollen genau das: Ich soll jetzt anfangen zu ermitteln, Frank wird seine Kinder beschützen wollen, und am Ende zanken wir uns und die beiden freuen sich.
    »Nicht mit mir«, sagte sie laut, holte den Glasreiniger, sprühte eine dicke Schicht auf das Bild und begann dann liebevoll sanft, als würde sie das Gesicht ihres Vaters streicheln, die gesamte Glasfläche zu reinigen.
    Sie fragte sich, ob die Mädchen noch mehr angerichtet hatten. Waren auch Akten durcheinander? Meulings Anwältin hatte Ann Kathrin um ein Gespräch gebeten. Es passte Ann Kathrin überhaupt nicht und sie wusste nicht, was sie mit dieser Frau zu besprechen hatte, trotzdem fuhr sie hin. Vielleicht tat es gut, sich ein bisschen abzulenken, bevor sie mit Weller zusammentraf.
    Sie lenkte ihren froschgrünen Twingo über die Landesstraße 5 . Komischer Treffpunkt, dachte Ann Kathrin, »Nordsee-Café« in Bensersiel.
    Es waren eine Menge Touristen unterwegs. Ann Kathrin suchte einen Parkplatz und ging dann ein Stück zu Fuß.
    Die Anwältin war schon da. Sie saß an einem Zweiertisch in einer Ecke nah am Fenster. Sie hatte eine spitze Nase, schmale Lippen und schulterlange schwarze Haare. Die Brille gab ihrem Blick die Strenge einer frustrierten alleinstehenden Geschäftsfrau, deren Liebesleben kurz nach der Pubertät aufgehört hatte zu existieren. Sie trug ein graublaues Kostüm und italienische High Heels von Lea Foscati, allerdings nicht aus dieser Saison. Die Frau war durchgestylt. Jede Farbe tauchte mehrfach auf. An das Graublau des Kostümstoffs erinnerte das gleichfarbige Uhrenarmband, das Blau tauchte auch in ihrer Halskette wieder auf, und den Ring an ihrer linken Hand zierte ein blauer Aquamarin. Ihre Handtasche wiederum hatte das gleiche Rot wie ihre Fingernägel und ihr Lippenstift.
    Wenn sie etwas notieren muss, dachte Ann Kathrin, während sie auf die Frau zuging, wird sie dann einen anthrazitblauen Füller aus der Tasche ziehen oder einen roten? Auf jeden Fall wird er farblich abgestimmt sein. Es wird garantiert kein Kugelschreiber sein, sondern ein Füller mit einer großen goldenen Feder.
    Sie hatte vor sich einen Latte macchiato stehen und ein Glas Mineralwasser ohne Kohlensäure. Sie saß so, dass sie aus ihrer Ecke das gesamte Café überblicken konnte, während Ann Kathrin mit dem Rücken zum Publikum saß. Es war Ann Kathrin egal.
    Die Frau strahlte so eine Kälte aus, dass es Ann Kathrin in ihrer Nähe fröstelte. Noch auf der Fahrt hierher hatte sie sich auf einen Milchkaffee gefreut, aber jetzt wollte sie auf keinen Fall etwas Ähnliches bestellen wie ihre

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