Ostfriesengrab
Falle.
Jetzt machte ihr der Regen nichts mehr aus. Am liebsten hätte sie die Presse angerufen.
»Hey, was war das?«, rief Weller und mahnte sofort: »Wehe, einer guckt in meine Karten!«
»Die Tür ist zu, Scheiße, die Tür ist zu! Der Wind hat die Tür zugedrückt«, mutmaßte Schrader.
»Na und, dann mach sie wieder auf«, forderte Weller. Noch war ihm das Ausmaß der Niederlage nicht klar.
»Gefangenentransporter«, stellte Benninga sachlich fest, »kann man aus gutem Grund nicht von innen öffnen. Nur von außen. Wir sollten eigentlich gar nicht hier drin sein. Wir sollten … «
»Und jetzt?«
»Jetzt sitzen wir ganz schön in der Scheiße. Wir können doch schlecht die Kollegen anrufen und ihnen sagen, dass … «
»Moment, Moment«, beruhigte Weller seine Mitgefangenen. »Ann Kathrin wird gleich zurückkommen, und dann kann die uns von außen die Tür aufmachen.«
Was seid ihr doch für Idioten, dachte Johannsen. Sie rieb sich die Hände gegeneinander, aber dadurch wurden ihre Finger nicht warm. Dann lief sie in den Park, um Ann Kathrin Klaasen und ihren Mandanten Meuling zu suchen.
Ann Kathrin fragte sich, ob sie, um den Druck auf Meuling zu erhöhen, einen Schuss abgeben sollte. Der Regen schluckte viele Geräusche, doch sie vermutete, dass ihre Kollegen auch auf diese Entfernung und trotz des Unwetters den Schuss hören würden. Darauf waren sie alle trainiert.
Ann Kathrin nahm Frau Johannsen nicht wahr. Sie war ganz auf Meuling konzentriert.
»Sie will mich umbringen!«, brüllte er. »Sie will mich umbringen, Cora!«
Ann Kathrin hielt das für eine Finte. Sie drehte sich nicht um. Die Anwältin konnte unmöglich schon hier sein. Von Emden bis hierher brauchte sie bei dem Wetter mindestens vierzig, wenn nicht fünfzig Minuten.
Sie hörte sich sagen: »Ich zähle jetzt bis drei, und dann werde ich dich in Notwehr erschießen. Ein Schwein weniger. Eins!«
»Nicht, nicht! Ich sag Ihnen alles! Alles, was Sie wissen wollen. Aber es wird Ihnen nicht gefallen, Frau Klaasen.«
»Zwei.«
»Ihr Vater war nicht das unschuldige Opfer! Er hat den ganzen Überfall mit geplant. Es war seine Idee, im Rettungshubschrauber zu fliehen. Er wurde erschossen, weil sie nicht mit ihm teilen wollten. Weil er alle Namen kannte und den Löwenanteil für sich beanspruchte.«
Ann Kathrins Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Sie spürte, dass sie die Kontrolle über sich vollkommen verloren hatte. Sie trat nach Meuling und kreischte: »Du lügst! Du lügst, du verdammter Drecksack!«
Cora Johannsen hatte das Pfefferspray aus ihrer roten Handtasche gezogen und den weißen Plastikschutz mit dem Daumen eingedrückt. Die Waffe war einsatzbereit. Sie stellte sich breitbeinig hinter Ann Kathrin, hielt ihr Pfefferspray mit beiden Händen, streckte die Arme weit aus und kommandierte mit schneidender Stimme: »Lassen Sie die Waffe fallen! Nehmen Sie die Hände hoch! Treten Sie von Herrn Meuling zurück!«
Ann Kathrin fuhr herum und wurde von einer vollen Ladung getroffen. Trotz des Regens entfaltete das Pfefferspray seine Wirkung. Ann Kathrin war augenblicklich fast blind. Es war, als würde ihr eine Säure die Augäpfel wegätzen.
Cora Johannsen packte Ann Kathrins rechte Hand und nahm ihr die Dienstwaffe ab. Ann Kathrin reckte ihr Gesicht den
Regentropfen entgegen. Sie wusste, dass nur Wasser ihr helfen konnte. Die Augen mussten ausgespült werden. Wieder und wieder. Der Regen, dachte sie erneut, ist dein Freund.
»Geben Sie mir meine Waffe zurück. Was Sie hier machen, ist Gefangenenbefreiung. Sie machen sich strafbar«, stellte Ann Kathrin klar, um die Anwältin zur Vernunft zu bringen.
Die lachte hysterisch: »Na klar, ich mache mich strafbar! Sie drohen einem in Handschellen gefesselten Untersuchungshäftling, ihn zu erschießen, aber ich mache mich strafbar!«
»Ich mach sie kalt, die dumme Schlampe!«, schrie Meuling und wollte sich auf Ann Kathrin stürzen, doch Frau Johannsen hielt ihn auf. »Du wirst nichts dergleichen tun. Wir hauen jetzt ab. Sofort.«
Ann Kathrin suchte nach ihrem Handy und kämpfte gegen den Drang an, sich die brennenden Augen zu reiben.
»Finden Sie sich damit ab, Frau Klaasen. Das ist das Ende Ihrer beruflichen Laufbahn. Ich mache Sie so fertig, dass Sie nicht mal mehr als Aushilfskraft bei einem Securityservice unterkommen.«
Meuling rannte mit seiner Anwältin zum Ausgang.
»Die Handschellen! Ich muss die Scheißhandschellen loswerden!«
»Glaubst du, ich durchsuche sie
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