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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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sie in allen Posen zeigten. Sie bekam Schweißausbrüche und versuchte ihm zu erklären, das sei keine Pornographie, sondern nur erotische Fotografie. Aber der Unterschied interessierte ihn nicht. Er war verletzt und wütend, wollte nicht länger mit einer Frau verheiratet sein, von der solche Bilder heimlich kursierten.
    Sie hatte die Agentur gebeten, sie aus der Internetdatei zu löschen. Aber dann kam trotzdem noch dieser Auftrag. Ein Kunde, der unbedingt sie wollte.
    Bestimmt hätte sie nein gesagt, wenn Jonas nicht vor drei Monaten arbeitslos geworden wäre. Sie mussten ihren ersten gemeinsamen Urlaub auf Fuerteventura absagen. Das neue Schlafzimmer mit dem Wasserbett konnten sie erst mal vergessen, und sie fragten sich inzwischen, ob die Wohnung in Hesel nicht sowieso viel zu teuer für sie war.
    Ab und zu so ein kleines Fotoshooting, das kann ich ja vielleicht machen, dachte sie. Er muss es nicht erfahren und ich kann die Haushaltskasse aufbessern.
    Der Kunde hatte sie für drei Tage gebucht und im Voraus bezahlt. Ein Fotoshooting in den Dünen von Norderney. Sie stellte sich Bademodenaufnahmen vor, und natürlich würde es auch zu Aktaufnahmen kommen. Norderney und FKK -Strand, das gehörte doch irgendwie zusammen. Das Wetter war gut. Sie liebte die Insel. Und er kam für alle Spesen auf. Was wollte sie mehr?
    Eine leichte Brise aus Nordwest blähte ihre Kleidung windschwanger auf. Für einen Moment bereute sie, einen Rock angezogen zu haben, aber sie wollte gut aussehen, wenn sie in Norderney an Land ging. Vielleicht holte er sie schon an der Fähre ab. Er sollte nicht enttäuscht sein.
    Sie hatte sich vorher sogar noch einmal auf die Sonnenbank gelegt. Ihre Haut war trotzdem noch winterweiß. Sie hatte die Beine mit einem Selbstbräuner eingerieben. Sie war ganz vorsichtig
vorgegangen. Sie wollte nichts verderben. In den Kniekehlen schimmerte der Selbstbräuner leider verräterisch gelblich.
    Der Wind wurde kräftiger und brachte dunkle Wolken mit. Erst nieselte es nur, dann wurden die kleinen Tropfen zu Stecknadeln auf der Haut. Die meisten Passagiere flohen unter Deck und bestellten sich Tee oder Bier. Verena Glück war zu sehr Ostfriesin, um vor ein paar Regentropfen davonzulaufen.
    Seit sie an Bord war, fühlte sie sich beobachtet. Der kleine pausbäckige Mann mit dem intensiven Blick positionierte sich ständig so zu ihr, dass er ihre Beine besonders gut sah. Auf der Treppe zum Deck war er immer vier bis fünf Stufen unter ihr geblieben. Jetzt, hier oben, wo der Wind an ihren Kleidern zerrte wie ein ungeduldiger Liebhaber, war sie mit drei Männern allein. Dem Dicken, einem Mittsechziger mit garantiert schwarz gefärbten Haaren und einem Jugendlichen, der den Blick nicht vom Handy nahm und manchmal schrill auflachte.
    Von dem Mittsechziger fühlte sie sich genauso angestarrt wie von dem kleinen Dicken. Es waren keine schmeichelhaften Blicke. Manchmal bewegte sie sich bewusst lasziv, wenn Männer sie so ansahen, genoss es wie ein gutes Fotoshooting. Das hier war aber anders. Irgendwie unangenehm. Sie kam sich vor wie ein Tier, das gejagt werden sollte, oder als ob die beiden Angler sich überlegten, ob der Fisch schon die richtigen Maße hatte.
    Der mit den gefärbten Haaren starrte besonders unverschämt. Der Dicke schien sich wenigstens ein bisschen zu genieren und sah weg, wenn sie zu ihm rüberschaute.
    Plötzlich begann sie, an sich zu zweifeln. War sie vielleicht schon zu lange raus aus dem Geschäft? Lag es gar nicht an den Männern, sondern hatte sie sich nur verändert? Würde sie sich plötzlich genieren, vor einem fremden Mann zu posieren? Hatte sie sich zu sehr an das Leben mit Ehemann und Tochter gewöhnt? War sie zu solide geworden oder einfach nur spießig?
Plötzlich hatte sie das Gefühl, diesen Job gar nicht mehr machen zu können. Unmöglich, sich für einen anderen auszuziehen.
    Ihr Verstand sagte: Hey, es hat dir doch immer Spaß gemacht. Du hast eine exhibitionistische Ader – warum sollst du sie nicht leben? Und es war eine Menge Geld. Drei Tage à 400  Euro. Selbst wenn sie die dreißig Prozent für die Agentur abzog, blieben ihr immer noch 840  Euro. Darauf durfte, ja, darauf konnte sie in ihrer augenblicklichen Lage gar nicht verzichten. Aber ihr Gefühl sagte etwas anderes: Lass es. Kehr um!
    Sie spürte ihren Herzschlag wie einen heftigen Protest. Aber sie kam sich wie eine Ehebrecherin vor. Das kannte sie sonst gar nicht, dieses schlechte Gewissen, dieses Gefühl, etwas

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