Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
allen zur gleichen Zeit Hausdurchsuchungen zu machen.
»Wenn wir auf ihren Festplatten nicht nur Fotos der Kinder finden, sondern Nacktfotos, sind die alle so klein mit Hut«, versprach er und nährte damit Ruperts Hoffnungen, dem Nachmittag und dem Abend mit der Schwiegermutter doch noch zu entgehen.
»Wir sollten es noch heute tun, bevor die ihr Material in Sicherheit bringen …«
Eigentlich war dies genau die Situation, in der Ubbo Heide sich zunächst ein Stückchen Marzipan in den linken Mundwinkel schob, bevor er zu sprechen begann. Doch diesmal brauchte er diese kleine Denkpause nicht.
»Das werdet ihr genau nicht tun. Ich will nicht mal, dass ihr einen richterlichen Durchsuchungsbefehl beantragt.«
»Häh?«, fragte Rupert. »Nimmst du diese Säcke jetzt in Schutz, Ubbo?«
Für einen Moment sah es aus, als würde Ubbo Heide diesen gemeinen Ball hart zurückschmettern, aber dann war es ihm die Sache nicht wert. Stattdessen sagte er: »Wir brauchen mehr, viel mehr, bevor wir einen Schritt weitergehen. Ich will jetzt keine Pferde scheu machen, für die wir uns hinterher in aller Form entschuldigen müssen.«
Das Geklacke von Sylvia Hoppes neuen Schuhen im Flur war deutlich zu hören. Sie stürmte auf die Tür zu. Es war ihr unangenehm, zu spät zu kommen. Sie machte einen aufgelösten Eindruck. Ihre Haare hingen in Strähnen herab. Auf Rupert wirkte sie, als hätte sie gestern eine heiße Liebesnacht gehabt, auf Ann Kathrin wie eine überforderte, übermüdete Frau.
»Ich habe hier«, sagte Sylvia, mit Blicken um Entschuldigung für ihr Zuspätkommen bittend, »die Liste der Jugendlichen, die von der Stiftung betreut wurden. Drei von ihnen gelten als vermisst. Jule Freytag, Kevin Becker und Larissa Kuhl.«
Rupert pfiff durch die Lippen. »Jetzt haben wir sie am Arsch.«
»Gar nichts haben wir«, beschwichtigte Ubbo Heide.
Sylvia Hoppe zuckte mit den Schultern. »Kann sein, dass auch von denen einige verschwunden sind. Kevin, Jule und Larissa haben wir offiziell in der Vermisstendatei. Die anderen nicht. Ich habe das alles vom Anwalt, der die Stiftungsgelder betreut. Die sind richtig stolz auf ein paar von ihren Schützlingen. Adrian Harmsen hat als Fünfkämpfer an den Olympischen Spielen teilgenommen. Ein paar haben sogar den Weg zur Uni geschafft. Sven Olberts, die Nummer 49 auf der Liste, ist in Holland an einer Überdosis Heroin gestorben.«
»Ich möchte, dass wir diese vermissten Kinder mit Hochdruck suchen«, sagte Ubbo Heide.
»Die müssten inzwischen erwachsen sein, wenn sie noch leben. Gibt es die Möglichkeit eines DNA-Vergleichs?«, wollte Ann Kathrin wissen.
Sylvia Hoppe empörte sich: »Du meinst, unsere Moorleiche könnte …«
»Ja, es könnte sich zum Beispiel um Jule Freytag handeln. Sie war körperlich und geistig zurückgeblieben. Bei allem Vertrauen in die Gerichtsmedizin, ich glaube, das Alter bei einer ausgestopften Kinderleiche genau zu bestimmen, die aus dem Moor gezogen wurde, stellt sie doch deutlich vor ein Kompetenzproblem.«
»Seht ihr«, stöhnte Ubbo Heide, »genau das meine ich. Wirbelt nicht zu viel Staub auf. Wir könnten hinterher als die Deppen dastehen. Ich will jetzt ordentliche, saubere Polizeiarbeit. Und dann holen wir uns alle Unterstützung, die wir brauchen, und knöpfen uns jeden vor. Ohne Rücksicht auf Namen, Verdienste oder Verbindungen. Aber erst mal will ich Ergebnisse, keine Vermutungen.«
Weller wollte einen Einwand erheben, doch Ubbo schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab, bevor Weller es ergriffen hatte.
»Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, wenn wir Leute wie Ollenhauer oder Renken verdächtigen, sie öffentlich in den Dreck gezogen werden, und dann stellt sich heraus, dass Jule Freytag inzwischen in einem Puff in Amsterdam als Domina arbeitet, statt als Moorleiche in Uplengen herumzuliegen?«
In Ann Kathrins Tasche heulte ein Seehund auf. Sie alle kannten ihren Handyklingelton, und Rupert verzog schon die Lippen. Er wusste, dass Ubbo Heide es nicht schätzte, wenn bei solchen Besprechungen ein Handy klingelte.
»Entschuldigung«, sagte Ann Kathrin, »ich muss rangehen, wegen meiner Mutter, die …« Sie sah aufs Display. »Genau, das ist das Krankenhaus.«
Ann Kathrin stürmte nach draußen und telefonierte im Flur weiter. Nach wenigen Minuten öffnete sie die Tür zu Ubbo Heides Büro, sah sich entschuldigend nach allen Seiten um und sagte: »Meine Mutter ist aus dem Krankenhaus weggelaufen. Verzeiht mir bitte,
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