Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Geschäften in der Osterstraße und im Neuen Weg. Falls ihrer Mutter das Essen auf Rädern mal nicht schmecken sollte, war es nur ein Katzensprung zu Gittis Grill, wo die Hähnchen besonders knusprig waren.
Es gab einen Hausmeister und einen Knopf, den sie drücken konnte, wenn sie Hilfe brauchte. Ein idealer Ort, um im Alter sicher und gut versorgt zu leben, fand Ann Kathrin.
Rupert hatte sich für seine Kollegen eine andere Erklärung ausgedacht. Angeblich war der Unfall beim Schließen der Autotür passiert. Er hatte sie sich gegen den Hals geknallt.
Ann Kathrin fand diese Begründung für Ruperts monströsen Verband am Hals so dämlich, dass sie geradezu gut zu Rupert passte. Weller dagegen glaubte ihm kein Wort und grinste. Für Ubbo Heide war nur wichtig, dass es kein Dienstunfall war und Rupert nicht die Gelegenheit nutzte, um sich krank zu melden, denn es gab wahrlich genug zu tun.
Der Kripochef hatte einen nervösen Blick und stand offensichtlich unter Zeitdruck. Es roch nach gebrannten Mandeln, und in Ubbos Papierkorb lag ein angebissenes Lebkuchenherz. Die Zuckergussaufschrift war zerbrochen, aber »Der besten Tochter der Welt« war noch zu lesen.
Ann Kathrin machte sich ihren Reim darauf, dass die Beziehung zwischen Ubbo und seiner Tochter Insa im Moment nicht gerade zum Besten stand. Er sah Ann Kathrins Blick und erklärte: »Ich hab’s ihr auf dem Jahrmarkt gekauft. War wohl keine so gute Idee … Angeblich hasst sie Lebkuchenherzen, und ich hab ihr jedes Jahr eins geschenkt … Warum sagt eine Tochter einem so etwas erst nach zwanzig Jahren?«
Ann Kathrin, die genug Schwierigkeiten mit ihrem eigenen Sohn hatte und wusste, wie kompliziert Wellers Töchter waren, konnte das nachempfinden, sagte aber lieber nichts dazu. Stattdessen kommentierte Ubbo Heide das Lebkuchenherz: »Stimmt ja auch. Es schmeckt richtig scheiße.«
Dann rutschte Ann Kathrin doch ein Satz raus: »Ja, vielleicht sollten wir manchmal besser auf unsere Kinder hören.«
Rupert lachte ein bisschen zu laut, so dass nicht klar war, ob er Ann Kathrin auslachte oder den Witz gut fand.
Weller hatte gleich das Gefühl, Ann Kathrin verteidigen zu müssen und sagte: »Da hast du recht. Mir wäre so mancher Mist erspart geblieben, wenn ich …«
Ubbo Heide machte seinen Rücken gerade, räusperte sich und wurde dienstlich: »Klartext. Leute.«
Sofort veränderte sich die gesamte Gesprächssituation. Den Wechsel vom Privaten zum Beruflichen schaffte Ubbo in Bruchteilen von Sekunden. Durch eine andere Körperhaltung und eine andere Stimmlage. Das gewinnende Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Jetzt sah er aus wie jemand, der genau wusste, was er wollte und wo es langging, und der notfalls bereit war, das auch gegen jeden Widerstand durchzusetzen.
»Ich habe gelesen, was ihr zu Dr. Ollenhauer geschrieben habt. Inzwischen liegen mir auch die Auskünfte über seine Stiftung vor. Ich hoffe, ihr verrennt euch da nicht, Leute. Das ist wie ein VIP-Verzeichnis aus Niedersachsen. Ein alteingesessener Architekt aus Delmenhorst, Nils Renken. Dieser Mann hat nicht einfach viel Geld gemacht, sondern einige wichtige Baudenkmäler Norddeutschlands vor der Zerstörung bewahrt. Er unterstützt Ollenhauers Stiftung jährlich mit fünfzigtausend Euro. Dann hätten wir da noch einen Notar aus Wilhelmshaven. Ein ehemaliger Landtagsabgeordneter aus Bayern, der sich auf Juist niedergelassen hat, und der ehemalige Direktor einer Förderschule aus Hannover.«
»Was willst du uns damit sagen?«, fragte Ann Kathrin. »Wir wissen das doch alles längst selbst.«
Rupert hatte zwar keine Ahnung, nickte aber und kratzte sich unauffällig die Eier. Seine Gedanken schweiften ab. Obwohl er in Ubbos Richtung blickte, sah er nicht seinen Chef vor sich, sondern Frauke, mit ihrem Stofffetzen, den sie Tanga nannte, und den er ihr mit den Zähnen ausgezogen hatte.
Er leckte sich über die Lippen. Er hatte Hunger und Durst gleichzeitig und nicht die geringste Lust, jetzt hier an einer Dienstbesprechung teilzunehmen, obwohl ihn ein noch schlimmerer Abend erwartete.
»Was ich damit sagen will, Ann, ist ganz einfach: Entweder, wir haben es hier mit einem wirklich ehrenwerten Verein zu tun, und die Welt wäre eine bessere, wenn es mehr von diesen Leuten gäbe. Oder aber, es handelt sich um eine kriminelle Vereinigung, gegen die die sizilianische Mafia nicht mehr ist, als ein Haufen harmloser Pfadfinder.«
»Das sehe ich genauso«, sagte Weller und schlug vor, bei
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