Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
richtig fertig.
Er hörte die Schritte seiner Frau auf dem Teppich vor dem Schlafzimmer nicht. Sie klopfte nicht an, sie öffnete die Tür, sah ihn missbilligend an, und das lag nicht nur daran, dass er mit Schuhen auf dem Bett lag. Mit schmalen Lippen zischte sie: »Du bist ja wirklich eine echte Hilfe! Ich hatte mit mehr Unterstützung von dir gerechnet. Weißt du denn nicht, was alles auf dem Spiel steht? Wenn wir jetzt alles richtig machen, dann enterbt sie vielleicht meinen versoffenen Bruder, und wir kriegen das Haus!«
Rupert deutete ihr an, er brauche nur noch drei Minuten, und sie solle gehen. Drei Minuten. Doch seine Frau machte nicht die geringsten Anstalten, zu gehen.
»Beeaate!«, hallte es durch die Wohnung.
Seine Frau drehte sich kurz um und brüllte zurück: »Jaaa, wir kommeeen!«
»Ich will dich, mein Latin Lover. Ich brauch dich jetzt gleich. Ich mach sonst was Blödes!«
Rupert drückte das Handy ins Kissen.
»Bitte, Beate, das ist ein Dienstgespräch. Ich …«
»Immer sind die Kriminellen wichtiger als ich! Heirate doch einen von denen!«
Dann machte sie diese typische Geste, die Rupert signalisieren sollte, wie sehr sie ihn verachtete und dass sie eigentlich etwas Besseres verdient hatte als ihn. Endlich drehte sie sich um und verließ den Raum.
Als die Tür ins Schloss gefallen war, flüsterte Rupert ins Handy: »Ich kann jetzt wirklich nicht. Meine Frau macht mir gerade die Hölle heiß. Eine wichtige Familienangelegenheit.«
Im dreitürigen Frisierspiegel sah er sich. Er hatte Schweiß auf der Stirn, und dunkle Flecken zeichneten sich auf seinem Hemd unterhalb seiner Brust ab. Er hob den rechten Arm. Ja, er hatte die Schwitzflecken auch unter den Achseln.
»Du schaffst mich«, stöhnte er.
»Ja«, antwortete sie begeistert. »Ja, mein Hengst! Weiter so, weiter so!«
Ann Kathrin fand ihre Mutter keine zweihundert Meter vom Krankenhaus entfernt vor der Bäckerei Grünhoff. Sie trug Pantoffeln und ihr Nachthemd. Das silberne Haar hing wirr herab. Ihre Wangen waren eingefallen. An ihrer Mundform erkannte Ann Kathrin, dass ihre Mutter ihre Zahnprothese vergessen hatte.
Vielleicht wurde Ann Kathrin erst in diesem Moment wirklich bewusst, wie schlimm es um ihre Mutter stand. Die ehemalige Lehrerin hatte früher ein manchmal geradezu gouvernantenhaftes Verhalten an den Tag gelegt. Sie achtete sehr auf Äußeres. Alles musste nicht nur sauber sein, sondern auch gebügelt. Nie hätte sie ihren Mann mit einem schmuddeligen Hemdkragen in die Polizeiinspektion fahren lassen.
Sie selbst war schon morgens beim Frühstück wie aus dem Ei gepellt, stand früher auf als alle, um sich zurechtzumachen. Selbst wenn die Zeit fürs Frühstück nur sehr kurz war, weil Karl-Heinz zum Dienst musste und Ann Kathrin es auch eilig hatte, wurde der Frühstückstisch liebevoll eingedeckt. Immer brannte mindestens eine Kerze, es lag eine Serviette neben den Brettchen.
Manchmal hatte Ann Kathrin sich richtig geschämt, wenn sie nur schnell eine Tasse Kaffee schlürfte, bevor sie zum Bus lief, um zur Schule zu kommen. Ihre Mutter hatte sich immer so viel Mühe gegeben, es für alle schön und gemütlich zu machen.
Jetzt vergaß sie sogar ihr Gebiss.
»Mama«, sagte Ann Kathrin, »was machst du hier?«
Sie bekam keine Antwort. Ihre Mutter schien gar nicht erfreut zu sein, sie zu sehen.
Ann Kathrin hatte sich vorgestellt, wie eine Retterin empfangen zu werden, doch nun kam sie sich eher vor wie ein Störenfried, so mürrisch und verständnislos funkelte ihre Mutter sie an. Unwirsch schob sie Ann Kathrin weg.
»Mama, was machst du denn? Du hast uns einen Riesenschrecken eingejagt! Du kannst doch nicht einfach aus dem Krankenhaus weglaufen! Komm, ich bring dich zurück.«
Sie nahm den rechten Arm ihrer Mutter, um sie zu veranlassen, sich bei ihr unterzuhaken und mit ihr zu Fuß zurückgehen. Aber Helga wehrte sich und wedelte mit den Händen, als ob sie Ann Kathrin schlagen wollte. Doch die Bewegungen waren dafür viel zu unkoordiniert.
»Okay«, sagte Ann Kathrin, »du willst hier stehen bleiben. Dann warten wir eben hier gemeinsam.«
Sie ließ die Mutter los, nahm einen Meter Abstand und betrachtete die Frau.
Sie hatte sich irgendetwas in den Kopf gesetzt, das sie nun unbedingt durchführen wollte, aber Ann Kathrin verstand nicht, was.
Lass ihr Zeit, dachte Ann Kathrin. Lass ihr einfach Zeit. Bleib hier stehen. Es kann ja nichts passieren. Es ist nicht kalt, sie friert nicht, also, was
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