Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Sätze wie: »Ich brauche das alles. Mach auch eine Totale. Du bist unser Gedächtnis, Abel. Jetzt ist noch alles klar, aber bald schon wird es Probleme geben, die Lage der Dinge einzuordnen.«
Genau so etwas brauchte er jetzt, aber niemand zeigte ihm, wie wichtig seine Arbeit war.
Holger Bloem war inzwischen, informiert durch Wellers Anruf, auch vor Ort. Weder Rupert noch Bloem wirkten begeistert, als sie sich sahen. Auch Abel verzog den Mund, was Bloem aber nicht mitkriegte.
»Ich habe die Presse nicht gern am Tatort, bevor unsere Arbeit abgeschlossen ist …«, maulte Rupert.
»Der ist jetzt nicht Presse, sondern Zeuge!«, betonte Weller.
Holger Bloem nahm die leicht feindselige Stimmung zur Kenntnis und sagte: »Ich bin beides. Dadurch, dass ich Zeuge wurde, verliere ich ja nicht meinen Presseausweis.«
Rupert verzog den Mund. »Also, als Zeugen brauchen wir Sie nicht. Wir haben das Scheiß-Vogelnest gefunden. Und als Journalist sind Sie hier im Moment nicht gefragt, da müssen Sie schon die offizielle Pressekonferenz abwarten … falls es eine gibt.«
Holger Bloem ärgerte sich schon, überhaupt gekommen zu sein, da entdeckte er etwas zwischen den Ästen einer Buche. Er sah genauer hin. Er wollte jetzt nichts Falsches sagen.
»Wir haben das Nest, aber weder eine abgehackte Hand noch sonst etwas … Wenn wir jetzt auch noch eine Hundertschaft anrücken lassen und dann ist da nichts als heiße Luft, dann …«
Rupert schlug in die Luft, als gelte es, einem Gegner durch die Deckung zu boxen.
Holger Bloem zeigte auf die Buche. »Ich glaube, da hängt, was Sie suchen.«
Weller war mit ein paar Schritten am Baum. Dabei trat er neben den Weg und sein rechter Fuß versank mit einem schmatzenden Geräusch.
»Verdammt, er hat recht! Da oben hängt etwas!«
Das Erschrecken über das, was er da oben sah, ließ Weller das eigentliche Wort nicht aussprechen.
Abel fotografierte sofort. Das war seine Chance. Der Aufnahme würde man nicht ansehen, wer das Objekt im Baum zuerst gesehen hatte.
Endlich hatte Abel eine Möglichkeit, Bloem auszustechen.
Rupert versuchte sofort, die Entdeckung für sich zu nutzen, und schimpfte: »Ja, bin ich denn nur von Idioten umgeben? Ihr sucht alle nur unten! Vielleicht guckt auch mal einer nach oben?! Das sind Vögel!« Er flatterte mit den Armen, als ob er versuchen wollte, abzuheben. »Vögel! Die fliegen! Da kann schon mal etwas im Baum landen.«
Es war ein Kinderarm mit einer Hand daran. Den dazugehörigen Körper fanden Taucher Minuten später nur wenige Meter vom Ufer entfernt.
Holger Bloem wurde schlecht. Da war er nicht der Einzige.
Ann Kathrins Mutter saß vor den Buchstaben und schob sie auf dem Beistelltischchen hin und her. Ann Kathrin stand neben ihr am Bett und streichelte ihren Kopf.
Helga sprach in einem durch. Es war ein anstrengender Silbensalat, ohne Punkt und Komma. Höchstens Ausrufezeichen oder Fragezeichen waren herauszuhören.
Mit dem Verlust der Selbstkontrolle über die eigene Sprachproduktion kam ein unstillbarer Rededrang, der für die sonst eher wortkarge Frau bis zur körperlichen Erschöpfung führte.
Der behandelnde Arzt nannte es »sensorische Aphasie« oder auch »Logorrhoe«. Er sprach von einem Schlaganfall und davon, dass sie einen langen, schweren Weg vor sich hätten, aber er machte Ann Kathrin Mut. Alles, so verstand sie, könnte auch wieder gut werden.
Sie hätte den Arzt küssen können. Seine ruhige, väterliche Art tat ihr gut.
Dann fegte ihre Mutter mit einer unwirschen Handbewegung die bunten Plastikbuchstaben durchs Zimmer.
Ein Besuch der Pathologie in Oldenburg gehörte nicht gerade zu Ruperts Lieblingsbeschäftigungen. Weil Ann Kathrin sich aber offensichtlich mit Ubbo Heides Genehmigung ausgeklinkt hatte, fuhren Rupert und Weller gemeinsam hin.
Sie schwiegen sich im Auto eine Weile an. Dann fragte Rupert: »Wie läuft es denn so zwischen Ann Kathrin und dir?«
»Darüber möchte ich nicht reden.«
»Oh, so schlecht?«
Weller biss sich auf die Lippen. Er wollte sich mit Rupert nicht auf private Gespräche über Frauen einlassen. Aber jetzt platzte er doch damit heraus: »Im Gegenteil. Ich war noch nie so glücklich. Sie ist eine wunderbare Frau.«
»Na, zu dem Thema gibt es aber auch ganz andere Ansichten.«
Es gelang Rupert jedes Mal, Weller mit Bemerkungen über Ann Kathrin auf Hundertachtzig zu bringen. Weller hätte seinem Kollegen jetzt am liebsten eine reingesemmelt, aber er beherrschte sich. Immerhin
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