Ostfriesensünde
rechten Hand wie mit einer Bürste durch seine Haare.
»Das war es, was ich Ihnen zu erzählen habe, Frau Klaasen. Ich glaube, Ihr Vater war nicht besonders stolz auf sich und das, was er getan hat. Manchmal habe ich gedacht, vielleicht war
es gut, dass er nicht mehr das Ergebnis der Ermittlungen gesehen hat. Ihr Vater war ein Mann mit Prinzipien, der an Recht und Gesetz glaubte. Wir sind dem Bösen sehr nahe gekommen und haben mit ihm Geschäfte gemacht, um es zu überführen. Ihr Vater hat darunter gelitten, dass wir für eine Zeit Teil von Stengers Maschinerie wurden. Aber wir mussten Frauen verkaufen, sonst wären wir gleich aufgeflogen und die Bande hätte uns kaltgemacht, ohne dass wir … «
Ann Kathrin öffnete den Mund und versuchte einzuatmen. Sie klang wie ein Asthmakranker, der dringend sein Spray braucht.
»Es reicht, Frau Klaasen. Sie sehen aus, als hätte Sie eine Dampfwalze überrollt. Sie haben eine Menge zum Nachdenken. Lassen Sie die Dinge ruhen. Die Menschen sind, wie sie sind und die Gesellschaft auch. Wir können das alles nicht verändern.«
Ihre Stimme klang piepsig, als hätte sie Helium eingeatmet. »Nein, bitte bleiben Sie! Ich habe noch so viele Fragen. Sie können jetzt nicht einfach gehen. Bitte, Herr Beukelzoon, ich … wie kann ich Sie erreichen?«
»Es reicht, Frau Klaasen. Ich bin gekommen, weil ich das Gefühl hatte, Ihrem Vater noch etwas schuldig zu sein. Wenn jemand aus dem Leben geht wie er, dann bleibt immer etwas offen … «
Beukelzoon ging zur Tür. Ann Kathrin folgte ihm. Im Flur überholte sie ihn und stellte sich mit dem Rücken vor die Haustür.
»Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie können mich nicht fesseln und knebeln, damit ich bleibe.« Er lächelte. »Ein bisschen erinnern Sie mich jetzt an meine Frau. Sie hat sich von mir scheiden lassen, weil sie nicht aushielt, was ich tat, die Gute. Ich habe sie so gut verstanden. Ihr Vater hat daraus gelernt. Er war klüger. Er hat immer versucht, seine Familie vor alldem zu beschützen. Wir haben oft über Sie gesprochen, Frau Klaasen.
Er hat Sie sehr geliebt. Er wollte nicht, dass Sie wissen, was er tut.«
»Warum nicht?«
»Er hatte Angst.«
»Angst? Vor mir?«
»Angst davor, dass Sie ihn verachten.«
Beukelzoon sah auf den Boden, als würde er in sich hineinhören oder mit jemandem im Raum reden, dessen Anwesenheit Ann Kathrin noch nicht bemerkt hatte. Dann nickte er. »Ja, das war die größte Angst in seinem Leben. Dass Sie ihn verachten würden.«
»Aber warum hätte ich ihn verachten sollen?«
»Weil er sich verhielt wie die Frauenhändler, obwohl er längst kapiert hatte, dass wir nicht in der Lage sein würden, ihnen das Handwerk zu legen.«
Beukelzoon schob Ann Kathrin sanft zur Seite. Sie setzte sich nicht wirklich zur Wehr.
Er spürte, dass sie stark war und durchtrainiert wie er. Er hätte es nicht gerne auf eine körperliche Auseinandersetzung mit ihr ankommen lassen.
»Als wir die erste Frau verkauft haben, Frau Klaasen, da haben wir uns schuldig gemacht. So wie sich unsere V-Leute vom Verfassungsschutz schuldig machen, wenn sie in rechtsradikalen Organisationen aufsteigen, Reden halten und den ersten Jugendlichen davon überzeugen, dass sie die richtige Sache vertreten. Ja, Frau Klaasen, so hat Ihr Vater das gesehen. Ich war dabei, wie er sich mit einem Kollegen gefetzt hat, der es in der NPD bis zum Kreisvorsitzenden und Bundesdelegierten gebracht hatte. »Wenn du das Herz von nur einem Jugendlichen durch diesen Mist gewinnst, bist du nicht besser als der Rest der Bande«, hat Ihr Vater damals gesagt. Es hat mächtig Streit gegeben. Wir waren bei einer Spezialschulung für Tarnungsfragen. Was ist nur aus uns geworden?«, fragte er sich selbst.
Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, jetzt die Türklinke herunterzudrücken und einfach das Haus zu verlassen. Aber er wollte es nicht. Er sah Ann Kathrin an und wusste, dass eine zutiefst erschütterte Frau vor ihm stand.
»Sie haben mich hereingebeten, es wäre fair, wenn Sie mich nun auch wieder herauslassen würden, Frau Klaasen.«
Sie öffnete ihm die Tür und umarmte ihn zum Abschied.
Nachdem er gegangen war, duschte Ann Kathrin erneut. Sie machte das Wasser so heiß, dass es fast ihre Haut verbrannte und sie krebsrot wurde. Sie brauchte jetzt diesen Schmerz auf der Haut. Dicke Wasserschwaden hingen im Badezimmer und ließen sich als Tropfen an den Kacheln und Spiegeln nieder.
Sie ging ins Wohnzimmer. Dort sah sie Beukelzoons Wasserglas auf
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