Ostfriesensünde
Zusatzmittel, dadurch wird der Mörtel sauhart.«
Ann Kathrin stellte keine Fragen. Sie sah ihm nur bei der Arbeit zu.
Immer wieder schaute Peter Grendel zu ihr herüber, sprach aber nicht mehr, um ihre Gedanken nicht zu stören, wofür sie ihm dankbar war.
So kann es nicht gewesen sein, dachte Ann Kathrin. Ich hätte jede Chance der Welt, ihm wegzulaufen.
Sie spielte die Möglichkeiten laut durch: »Ich könnte einen Stein nehmen und dir damit den Schädel einschlagen, wenn du dich bückst, um neuen Zement auf deinen Spachtel zu laden.«
Er ließ sich nicht irritieren, sondern arbeitete einfach weiter.
»Die Opfer waren nicht gefesselt, sonst hätten wir Spuren von
Seilen oder Riemen gefunden. Er muss sie also betäubt haben, oder wie sonst hat er sie dazu gebracht, stillzuhalten, während er sie einmauerte?«
Peter Grendel wusste, dass sie keine Antwort von ihm erwartete, sie sprach nur laut, während ihre Kleidung auf ihrer Haut trocknete.
Dann schwieg Ann Kathrin wieder eine Weile und zog die Beine an ihren Oberkörper. Sie stützte ihr Kinn auf den Knien ab.
Peter Grendel arbeitete jetzt seit einer Stunde unermüdlich ohne Pause, und er war ein Profi. Es lag noch viel Arbeit vor ihm. Ann Kathrin hätte jederzeit mühelos über die Mauer ins Freie klettern können, doch sie blieb sitzen, spürte den harten Betonboden unter sich und sah ihrem Nachbarn zu.
»Vielleicht hat er nicht die ganze Mauer im Beisein seines Opfers hochgezogen, sondern viel mehr vorbereitet, als wir denken. Er musste ohnehin vorher genügend Steine in den Raum bringen, den Zement mischen und … Vielleicht war das Gefängnis vorher sogar schon so gut wie fertig und er hat nur ein genügend großes Loch gelassen, um seine Opfer hineinzuschieben. Das konnte er bestimmt auch leichter verteidigen, oder er hat ihnen ein Schlafmittel gegeben. Aber er hat bestimmt lange vorher begonnen … «
Obwohl die Mauer noch lange nicht vollständig hochgezogen war, wurde es Ann Kathrin schon mulmig zumute, denn wenn sie im Sitzen geradeaus sah, erblickte sie nur die raue Oberfläche der Steine.
Inzwischen warf die Mauer schon einen Schatten auf sie.
Weller wusste genau, was Ann Kathrin und Peter Grendel im Moment taten. Sie hatten ihm nicht einmal verraten, wo es geschah. Er sollte sie nicht stören und sich aus dem ganzen Prozess heraushalten.
Es brachte ihn fast um. Einmal verspürte er sogar kurz den Impuls, sie zu verlassen. Aber dann zuckte er vor seinen eigenen Gedanken zurück. Er musste sich eingestehen, dass die Zeit mit Ann Kathrin trotz der drückenden Schulden aus seiner geschiedenen Ehe die bisher glücklichste seines Lebens war. Nein, er wollte sie nicht verlieren. Auf keinen Fall. Niemals, deshalb war er ja so nervös.
Er versuchte, sich zu beruhigen. Nein, er würde sie nicht verlieren. Nicht heute jedenfalls und nicht durch Peter Grendel. Gleichgültig, wie fragwürdig die Aktion auch sein mochte, bei Peter war Ann Kathrin in Sicherheit.
Trotzdem griff Frank Weller schneller zum Handy als sonst. Peter hatte versprochen, ihn sofort anzurufen, falls es Probleme gab.
Holger Bloem vom Ostfrieslandmagazin war dran. Der wollte eigentlich Ann Kathrin sprechen, aber die hatte ihr Handy ausgeschaltet.
Holger Bloem erzählte, dass ein Mann ständig in der Redaktion anrufe. Ein Herr aus Delmenhorst. Seine Tochter sei verschwunden, aber die Polizei nähme die Sache nicht ernst. Holger Bloem wollte wissen, ob an der Sache etwas dran sei, der Mann hätte ein bisschen verwirrt auf ihn gewirkt.
Bei dem Wort »verschwunden« krampfte sich Wellers Magen kurz zusammen.
»Und wieso ruft der beim Ostfrieslandmagazin an?«
»Na, weil er sich als Abonnent mit unserer Illustrierten verbunden fühlt. Wir haben vor zwanzig Jahren mal über ihn berichtet, weil er bei den Boßelmeisterschaften in Irland … «
Weller unterbrach Bloem. »Ja, danke, so genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen.«
»Jedenfalls hat der Mann den Bericht heute noch hinter Glas an der Wand. Er vertraut dem OMA .«
Weller notierte sich den Namen der Tochter und versprach,
sich darum zu kümmern. Vermisste Frauen machten ihn noch nervöser, als er ohnehin schon war.
Weller rief die Dienststelle an. Rupert meldete sich mit: »Ich höre Hit Radio Antenne.«
Im ersten Moment glaubte Weller, sich verhört oder verwählt zu haben. »Bitte, was?«
Rupert schaltete sofort um. »Moin, Weller, bist du das?«
Weller holte tief Luft, dann donnerte er: »Die Frage ist
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